Das Alabastergrab
Hauptkommissar genauso förmlich
zurück. »Und wie sieht’s mit dem Interviewtermin bei unserem Umweltminister aus?«
»Heute um zehn Uhr auf Kloster Banz«, kam die kühle Antwort.
»Und das erfahre ich jetzt erst?«, empörte sich Haderlein.
»Sie haben mich ja nicht gefragt«, entgegnete sie spitz und fügte
mit Blicken noch ein giftiges »Sie waren ja anderweitig beschäftigt« hinzu.
Haderlein bemerkte Honeypennys unterschwelligen Vorwurf, hatte jetzt aber
wahrlich keine Zeit für ihr Rumgezicke.
Stattdessen schaute er auf die Uhr. »Also dann, Huppendorfer –
Abmarsch zur Phantombilderstellung. Außerdem kriegen Sie mal raus, was das Wort
›Kufa‹ oder ›Curva‹ zu bedeuten hat. Vielleicht gibt uns das einen Hinweis auf
die Landsmannschaft unserer beiden Flüchtigen. Und Huppendorfer, ordnen Sie
Personenschutz für Frau Rast an. Darunter verstehe ich eine Dauerstreife vor
dem Haus und Begleitschutz, egal wo sie hingeht. Und Lagerfeld, du wartest hier
und begleitest mich gleich nach Banz. Ich geb nur schnell Fidibus Bescheid.«
*
Umweltminister Kolonat Schleycher steckte das Handy wieder weg. Die
Polizei wollte ihn also heute treffen. Damit hatte er gerechnet. Die Beamten
würden kommen, ihm ihre albernen Fragen stellen und dann wieder verschwinden.
Ihm war nichts nachzuweisen. Nicht das Geringste. Seine Zukunft sah wieder
rosig aus, vor allem nachdem sich der aufgewirbelte Staub um seine Lockerung
des Rauchergesetzes wieder gelegt hatte. Selbst der Ministerpräsident hatte
sich über seine Krisenbewältigungsstrategien sehr zufrieden gezeigt. Er würde
jetzt vor die Presse treten und eine Erklärung abgeben. Das würde richtig Spaß
machen. Das Schicksal hatte es wieder einmal gut mit Kolonat Schleycher
gemeint. Er sah endlich Licht am Ende des Tunnels.
*
Nikolai saß in der Autobahnraststätte Steigerwald an einem kleinen
runden Tisch mit Blick auf den Ausgang und die Fahrzeuge auf dem Parkplatz.
Er tat sich an einem Kaffee gütlich und wartete darauf, dass sich
jemand für seinen grauen BMW interessierte. Aber das Kommen und Gehen des Raststättenlebens nahm keine
Rücksicht auf den unauffälligen Wagen oder seinen Besitzer. Bereits zwei Mal
war eine Streife der Autobahnpolizei vorbeigefahren, und ein Mal hatte sich
sogar ein Polizist im Restaurant blicken lassen und die Gäste eher beiläufig
gemustert. Nikolai hatte ihm interessiert ins Gesicht gesehen, doch der
Streifenbeamte war einfach vorbeigegangen.
Er wäre auch verwundert gewesen, wenn man ihn erkannt hätte.
Mittlerweile hatte er seine schwarze Perücke abgelegt und trug nun eine
hellbraune Stoffweste zu seinen leicht gewellten brünetten Haaren. Durch die
farbigen Kontaktlinsen hatte er nun braune Augen. Die abgelegten Sachen waren
in einen Abfallcontainer draußen auf dem Parkplatz gewandert. Fürs Erste
herrschte Ruhe.
Nikolai war Russlanddeutscher, seine Eltern stammten aus einem
kleinen Dorf an der Wolga. Sie hatten ihre russische Heimat 1980 verlassen,
denn die Bundesrepublik zahlte damals viel Geld für ausreisewillige
Deutschstämmige. Die Familie siedelte sich in der Nähe von Gießen an, wo er
auch geboren wurde, doch seine Eltern wurden nie richtig glücklich in der neuen
Heimat. Sie starben, als er gerade neunzehn Jahre alt war. Nach mehreren
Verurteilungen wegen Gewaltdelikten musste Nikolai ein Jahr später die Bundesrepublik
verlassen und verdingte sich als Söldner bei der russischen Armee in
Tschetschenien. Hier begann in einer Spezialeinheit sein Aufstieg und
schließlich seine internationale Karriere als zuverlässiger Mann für
schwierigste Aufgaben. Besonders gefragt waren seine Fähigkeiten aufgrund
seiner Sprachkenntnisse im deutschsprachigen Raum.
Erneut nahm er den Zettel heraus, um ihn aufmerksam zu studieren. Es
standen fünf Ziele mit Adressen darauf, die es abzuarbeiten galt. Allerdings
musste alles jetzt unauffällig geschehen, die Polizei durfte nicht zu früh
Verdacht schöpfen. Doch er hatte keine Angst, sein Plan war absolut
wasserdicht.
Er war zuversichtlich, bis Sonntag den Auftrag abgewickelt zu haben.
Wenn nicht, würde ihn das persönlich sehr ärgern, denn er hatte für nächste
Woche bereits einen weiteren Auftrag in Wien angenommen. Nicht so schwierig und
bei Weitem nicht so gut bezahlt, aber trotzdem: Er verschob nur ungern einen
zugesagten Job. Das war schlecht für die Reputation. Und wenn man der Bestbezahlte
bleiben wollte, dann musste man auch der sein, der am perfektesten
Weitere Kostenlose Bücher