Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
los?«
»Mit uns warten sie noch. Andere haben es nötiger als wir.«
»Verstehst du, was die sagen?«
»Ja.« James griff nach seinem Ohr und sah an sich herunter. Die Wunden an seinem Körper und der Hand waren nicht weiter auffällig. »Wie sehen deine Verwundungen aus?«
»Weiß nicht.«
»Dann find’s raus!«
»Ich kann doch jetzt nicht das Hemd ausziehen!«
»Versuch’s! Du musst das Blut entfernen, falls da welches ist. Sonst werden die misstrauisch.«
Bryan blinzelte zur Kanüle. Er sah den Gang hinunter, holte tief Luft und zog dann das Hemd schräg über den Kopf, sodass es lose über dem Arm hing, in dem die Kanüle steckte.
»Wie sieht’s aus?«
»Nicht besonders gut.« Arme und Schultern mussten eigentlich gründlich gereinigt werden. Die Verletzungen waren nur oberflächlich, aber eine Schnittwunde reichte von der Schulter bis zum Rücken.
»Wasch dich mit deiner Hand, Bryan. Nimm Spucke und leck die Hand ab. Aber beeil dich!«
James richtete sich ein bisschen auf. Als das Hemd die Wunde an Bryans Schulter wieder bedeckte, nickte er kaum merklich. Seine Lippen bemühten sich, ein Lächeln anzudeuten, aber seine Augen sprachen eine andere Sprache. »Wir müssen uns tätowieren, Bryan«, sagte er. »So schnell wie möglich.«
»Wir müssen – was?«
»Uns tätowieren. Pass auf. Man sticht mit einer Nadel Farbstoff unter die Haut. Dazu können wir die Kanüle benutzen.«
Bryan wurde übel. »Und was ist mit dem Farbstoff?«
»Da müssen wir wohl den Dreck unter unseren Fingernägeln nehmen.«
Ein Blick auf ihre Hände zeigte, dass es in diesem Fall nicht zu Engpässen kommen würde. »Bekommen wir davon nicht Wundstarrkrampf?«
»Wovon?«
»Von dem Dreck?«
»Vergiss es, Bryan. Das ist nun wirklich nicht unser größtes Problem. Und jetzt überleg mal, was wir uns tätowieren müssen.«
Die Worte versetzten Bryan einen Schock. Daran hatte er noch überhaupt nicht gedacht. »Welche Blutgruppe hast du, James?«
»Null Rhesus negativ. Und du?«
»B Rhesus positiv«, antwortete Bryan leise.
»Verdammte Scheiße«, kam es müde von James. »Aber wenn wir nicht A+ tätowieren, merken die früher oder später, dass etwas nicht stimmt. Das steht doch in der Krankenakte, oder?«
»Aber das falsche Blut ist auch verdammt gefährlich!«
»Ja, schon.« James seufzte. »Du kannst machen, was du willst, Bryan. Aber ich tätowiere mir A+.«
Der enorme Druck in seinem Unterleib lenkte Bryan ab. Er konnte die Probleme kaum noch auseinanderhalten. »Ich muss pinkeln«, sagte er.
»Dann tu’s doch! Kein Grund, hier irgendwas zurückzuhalten.«
»Ins Bett?«
»Ja! Himmel, Bryan, natürlich ins Bett! Wohin denn sonst?«
Vom Waggon hinter ihrem war Unruhe zu hören. Beide Männer erstarrten und schlossen die Augen. Bryan lag in einer höchst unbequemen Position, mit dem einen Arm unter sich und dem anderen schräg über der Bettdecke. Auch wenn er gewollt hätte: So war es ihm unmöglich, Wasser zu lassen.
Bryan meinte, nach Tonfall und Klang ihrer Stimmen mindestens vier Krankenschwestern zu zählen. Vermutlich machten immer zwei Schwestern ein Bett. Er wagte es nicht, den Kopf zu drehen.
Weit hinten schlug das eine Paar Schwestern bei dem Toten die Seitensicherung des Bettes herunter. Sie würden ihn sicher wegbringen.
Die beiden Schwestern in seiner Nähe arbeiteten zügig und murmelten leise vor sich hin. Offenbar hatten sie dem Patienten das Hemd über den Kopf gezogen. Bryan öffnete seine Augen einen winzigen Spalt. Die Schwestern beugten sich über den Patienten und wuschen ihm zielstrebig und ohne zu zögern Beine und Unterleib.
Die Krankenschwestern hinten im Wagen hatten bereits das Laken um den Soldaten gelegt und waren gerade dabei, ihn auf den Rücken zu drehen. Als sie ihn in die Mitte des Lakens zogen, gab er plötzlich einen Laut von sich, der alle vier Schwestern jäh in ihrem Tun innehalten ließ. Eine lange Wunde vonder Schulter bis zum Hinterkopf hatte zu bluten begonnen. Ohne der Wunde die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, zog die kleinste der Schwestern die Nadel aus dem Kragen ihrer Schwesterntracht und stach dem Mann damit fest in die Seite. Bryan konnte nicht hören, ob er stöhnte. Was bezweckten die Schwestern damit? Wollten sie die Reaktionsfähigkeit des Patienten testen? Und wie auch immer sie seinen Zustand einschätzen mochten, sie fuhren fort, ihn einzupacken.
Es war ihm ein Rätsel, wie er und James es hinbekommen sollten, so ruhig zu
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