Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
erstochen, als er gehängt werden sollte. Dafür hatten sie eine kaum nennenswerte Disziplinarstrafe erhalten – aber alle hatten sich mächtig amüsiert.
Kröner hatte nicht so sehr der Akt des Erstechens an sichfasziniert, sondern die Technik. Und die hatte er seither perfektioniert. Der Vorteil dieser Methode: Man musste seinem Opfer dabei nicht in die Augen schauen, denn man erstach es von hinten.
Auf diese Weise wollte er sich nun Arno von der Leyens entledigen. Ein schlichter, effizienter Überraschungsangriff, der Arno von der Leyen nicht die Zeit lassen würde, in irgendeiner Weise zu reagieren. Und das war in seinem Fall ja wohl das A und O, dachte Kröner. Doch die neue Entwicklung machte ihm mehr als deutlich, dass er das Messer vielleicht auch gegen jemand anderen zum Einsatz bringen musste. Die Ereignisse überschlugen sich ja förmlich.
Immerhin konnte er so auch Petra endlich loswerden.
Kröner schob den Brieföffner so weit in die schräge Tasche, dass nur noch der Hirschhufgriff herauslugte. Einsatzbereit. Die beiden Frauen würden ihm keine Probleme machen.
Einer der Spielkameraden seines Sohnes lebte in einem noch größeren Haus als Kröner und seine Familie. Besonders die Haustür aus Glas hatte es dem Kind angetan, weil man durch sie bereits sehen konnte, wer draußen stand. Kröner hatte seinerzeit nicht weiter darüber nachgedacht. Aber jetzt hätte ihm eine Glastür den Schock erspart, als er öffnete: Sein Lächeln gefror. Nicht die kleine Krankenschwester und ihre unbekannte Freundin standen vor ihm, sondern Gerhart Peuckert.
Er war der letzte Mensch, den Kröner erwartet hatte.
»Gerhart!«, rief er und zog ihn so hektisch in den Flur, dass sie beide beinahe über den Kokosläufer gestolpert wären. »Was zum Teufel machst du denn hier?« Er erwartete natürlich keine Antwort, führte den schweigenden, fügsamen Gerhart nach oben und setzte ihn an seinen Schreibtisch. Er wollte nicht, dass man sie von der Straße aus sehen konnte.
Kröner war nicht wohl angesichts dieser völlig neuen Entwicklung. Gerhart Peuckert hatte sich noch nie zuvor mehr als zehn Meter von seinen Begleitern entfernt. Es war denkbar,dass Petra Wagner ihn als eine Art Boten vorausgeschickt hatte. Aber warum war er nicht bei Peter Stich? Wo war Stich überhaupt?
Leichenblass, die Lippen dunkelblau, saß Gerhart vor ihm. Kröner ergriff seine kalten, zitternden Hände.
»Was ist passiert, lieber Freund?«, fragte er sanft und kam Gerhart dabei sehr nah. »Wie bist du hierher gekommen?«
»Er registriert alles, was wir sagen und tun«, hatte Lankau ihnen immer wieder eingeschärft. Doch Kröner zweifelte noch immer daran. »Bist du mit Petra hergekommen?«, fragte er.
Als er ihren Namen hörte, schürzte Gerhart die Lippen, ließ den Blick langsam nach oben wandern und fing an zu blinzeln. Die völlig verdrehten Augäpfel glänzten unter einem Tränenfilm. Als richtige Tränen daraus wurden, sah er Kröner direkt an. Seine trockenen Lippen bebten, als er den Mund öffnete. »Petra!«, stieß er hervor und ließ den Unterkiefer hängen.
»Allmächtiger!« Kröner stand aus der Hocke auf und wich einen Schritt zurück. »Petra, ja. Du kennst ihren Namen. Was will sie hier mit dir? Was ist passiert? Wo ist Peter Stich?«
Gerhart fing an, unablässig den Kopf zu schütteln. Er wirkte, als würde er jeden Moment explodieren. Kröner ließ ihn nicht eine Sekunde aus den Augen. Als er nach dem Telefonhörer griff, fiel ihm auf, dass Gerhart Peuckerts Knöchel ganz weiß waren. Unmerklich hatte er begonnen, mit dem ganzen Körper zu schaukeln.
»Gerhart! Du bleibst jetzt ganz ruhig da sitzen, bis ich dir etwas anderes sage!« Er wählte Stichs Nummer. Es klingelte eine ganze Weile. Kröner fluchte leise. »Jetzt komm schon, Stich, du dummes Arschloch, geh endlich ran!«, flüsterte er. Dann legte er auf und versuchte es gleich noch einmal. Doch niemand ging ans Telefon.
»Er geht nicht dran«, ertönte dumpf und undeutlich eine Stimme.
Wie der geölte Blitz fuhr Kröner zu Gerhart herum, dochdessen weiße Knöchel trafen ihn so schnell, dass Kröner nur gerade eben noch Gerharts Blick wahrnahm.
Und der war ganz ruhig.
Noch bevor Kröner auf dem Boden aufschlug, verpasste Gerhart Peuckert ihm einen weiteren Fausthieb. Kröner war im Vergleich zu Gerhart ein großer Mann. Er schlug hart auf.
Aber er war nicht einmal benommen. Er war schockiert.
»Was zum Teufel!«, stammelte er, dann ließ er seinen
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