Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
vorbereitet. »Lankau, Sie können nicht sein Laken benutzen! Das merken die doch, wenn sie ihn ins Bett legen. Wenn Sie darauf bestehen, schon jetzt alles vorzubereiten, dann nehmen Sie Ihr eigenes!«, fauchte Kröner. »Sie können es ja anschließend austauschen.«
»Wir sollten warten, bis er zurück ist. Dann nehmen wir sein eigenes.« Der Postbote sah lächelnd zu James hinüber. »Nicht wahr, Herr Standartenführer Peuckert?« James, dem das Blut in den Adern gefror, reagierte nicht, sondern stierte bewegungslos vor sich hin.
»Mir passt überhaupt nicht, dass er sieht, was wir tun.« Lankau warf James einen hasserfüllten Blick zu.
»Der zeigt uns nicht an. Warum, weiß ich nicht, aber der zeigt uns nicht an.« Der Rotäugige nickte. »Die Herren haben ihn gut unter Kontrolle bekommen.«
James wandte den Blick hinaus zu den Nadelbäumen und ohne recht zu wissen, was er tat, begann er, sie zu zählen. Als er fertig war, fing er wieder von vorn an. Doch die Ruhe, die er so nötig brauchte, wollte sich nicht einstellen.
Wie vermutet, hatte Bryan nach der Behandlung Krämpfebekommen. Die ganze Nacht war er unter Beobachtung geblieben. Es würde lange dauern, bis er sich wieder wehren konnte. James war fast besinnungslos vor Sorge, dazu an Leib und Seele erschöpft.
Während die Schwesternhelferinnen die Mittagsrationen in den anderen Stationen austeilten, hatte Lankau Bryans Laken am Waschbecken gezwirbelt. Es war jetzt so dünn und straff wie ein Hanfseil. Ans Kopfende des Bettgestells geknotet, lag es unter Bryans Bettdecke bereit.
Arno von der Leyens Bett hatten die Krankenschwestern schon gemacht. Mit ihm würden sie sich erst wieder beschäftigen, wenn er aufwachte.
»Ist Selbstmord die richtige Methode? Sollen wir ihn nicht besser einfach rauswerfen?« Lankau hatte noch immer Bedenken. »Das würde wie ein Fluchtversuch aussehen. Bis zu den Fichten auf der anderen Seite des Zauns sind es ja nur ein paar Schritte. Wenn man den Absprung vom Fensterrahmen gut schafft, könnte man schon sehr weit kommen.«
»Und …?« Der Postbote machte nicht den Eindruck, als erwartete er eine Antwort.
»Ja, und dann geht der Sprung halt schief.«
Der Postbote sog die Wangen nach innen. »Dann hätte von unserem Krankenzimmer aus ein Fluchtversuch stattgefunden und wir hätten die Untersuchungen am Hals. Ganz davon abgesehen, dass sie uns die Fenster verbarrikadieren würden. Damit wäre auch uns der Weg versperrt, falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte. Und was, wenn er den Sturz überlebt? Nein, wir hängen ihn, sobald es dunkel geworden ist.«
Über James’ Bett gab es keine Klingelschnur. Die Unterbringung in diesem Sechsbettzimmer war eben doch eine Notlösung. Wenn er den Kampf mit den Simulanten aufnahm, um sie an ihrem Vorhaben zu hindern, würde es ihm wie Bryanergehen. Im Moment kämpfte er schon darum, überhaupt bei Bewusstsein zu bleiben.
Die Hilfe musste von außen kommen. Dafür musste er sorgen.
Aber wenn man das provisorische Seil fand, würden sofort Untersuchungen angestellt und die Prophezeiung des Rotäugigen in aller Grausamkeit umgesetzt. Nur Schwester Petra konnte die Katastrophe abwenden und den Verdacht in die richtige Richtung lenken.
Aber Petra kam nicht mehr jeden Tag.
Unheilschwanger wurde es an jenem Tag schon am frühen Nachmittag dunkel.
Völlig unerwartet betrat Schwester Petra das Krankenzimmer. Sie schaltete die Deckenlampe ein, füllte eine Kanne mit Leitungswasser und schenkte dann jedem ein Glas Wasser ein.
Als sie zu James kam, versuchte er, sich aufzurichten. »Aber Herr Peuckert!«, sagte sie und drückte ihn sanft zurück auf sein Kissen. James legte den Kopf in den Nacken, sodass die Übrigen ihn hinter ihrem Kopf nicht sehen konnten. Die Worte wollten nicht kommen. Der verzweifelte Ausdruck in James’ Augen und seine unkontrollierten Bewegungen waren neu für sie und völlig unbegreiflich.
Deshalb holte sie die Oberschwester.
Diese energische Frau, die Personal und Patienten nur selten mit Einfühlsamkeit überraschte, beugte sich über James und betrachtete ihn sehr aufmerksam aus nächster Nähe. Als sie sich wieder aufrichtete, schüttelte sie nachsichtig den Kopf, schob sich an der besorgten Petra vorbei zum Fenster und zog die Gardine ein Stück vor die Läden. Danach trat sie zu Bryan und tätschelte dem Hilflosen erstaunlich resolut die Wange.
Bryan brummte etwas und zog unwillkürlich den Kopf zurück. »Er wacht bald auf«, sagte
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