Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
zweiten Mal zu Hilfe gekommen. Bei der Visite achtete Bryan auf den Namen und merkte ihn sich. Peter Stich. Bryan erwiderte sein Lächeln, als gäbe es zwischen ihnen eine tröstliche und vielversprechende Verbundenheit.
Schwester Petra sah immerzu nach James. Bryan gelang es nur selten, Blickkontakt zu ihm aufzunehmen, aber er hatte das Gefühl, als ginge es seinem Freund sehr schlecht. Trotzdem wirkte Petra äußerst zufrieden.
Bei der Visite an einem der nächsten Tage hatten die Ärzte lange an James’ Bett gestanden und diskutiert. Anschließend hatte man ihn mehrere Male zur Untersuchung in einen kleineren Raum auf demselben Korridor geholt.
Gegen alle Gewohnheit drückte der Oberarzt James am selben Abend jovial die Hand. Petra stand mit verschränkten Armen und verlegen lächelnd dabei, sie wirkte aufgeregt. Sie sprachen James an. Er antwortete zwar nicht, aber er sah sie an, als verstünde er sie.
Bryan freute sich über diese Entwicklung. Langsam wuchs in ihm die Zuversicht, dass er James schon bald wieder in seine Fluchtpläne einbeziehen konnte.
Am folgenden Abend diskutierten die Simulanten lange und eifrig. Sogar der Rotäugige machte auf seine Weise mit, indem er an die Decke starrte und dabei leidenschaftslos seine Kommentare abgab. Bryan hatte den Eindruck, als würde sich der Rotäugige über die anderen lustig machen. Und er schrieb es seiner Gemütserkrankung zu, dass die anderen ihn ließen. James’ Miene schien jedes Mal Missfallen auszudrücken, wenn Bryan den Rotäugigen angesehen hatte.
Bryan maß dem keine Bedeutung bei.
Da betrat eine der neuen Krankenschwestern den Raum und schaltete die Deckenlampe ein. Das Flüstern verstummte augenblicklich. Anschließend hielt sie einem fremden Offizier die Schwingtür auf, dem wiederum breit lächelnd Oberarzt Thieringer folgte. Der junge Offizier sprach kurz zu den Patienten und gab den Krankenschwestern und dem Oberarzt die Hand. Dann schlug er die Hacken zusammen und verabschiedete sich mit dem Hitlergruß. Als das Licht wieder ausging, kehrte Ruhe ein.
Die Simulanten waren offensichtlich von dem Zwischenfall berührt. Schließlich nahmen sie ihr Flüstern wieder auf.
Bryans Gedanken kehrten zu seiner Anfangszeit im Lazarett zurück. Er war zur gleichen Zeit wie der junge Offizier hierhergekommen. Nun hatte der sich offenbar so weit erholt, dass sie ihn wieder in den Krieg schicken konnten – mehr lebendig als tot und damit ein gutes Beispiel für sie alle.
Das Getuschel der anderen wirkte einschläfernd. Seine Gedanken verhedderten sich, die Stimmen wurden immer leiser. Seine Rettungsleinen waren alle gekappt. Die Klingelschnur über ihm war zerrissen. An James’ Bett befand sich erst gar keine. Im Grenzland zum Traum hob der junge Offizier die Hand ein letztes Mal zum Hitlergruß.
Dann war Bryan eingeschlafen.
Jedes metallische Geräusch sendet seine ganz eigene Botschaft aus. Wenn ein Flügel von einem Bomber abreißt, klingt das anders, als wenn der Rumpf des Fliegers aufreißt. Ein schwerer Hammer auf einem kleinen Nagel klingt anders als ein kleiner Hammer auf einem großen Nagel. Das Geräusch klingt in seinen metallischen Elementen fort, durch seine Lautgestalt erzählt es von dem, wofür es steht. Aber diesen fremden Laut hier zu deuten, metallisch und klangvoll zugleich, wollte Bryan einfach nicht gelingen. Die Antwort musste noch eine Weile im Ungewissen bleiben, seine Lider waren so schwer,dass er sich damit abfinden musste. Rings um ihn herum nahm er einen weißlichen Schimmer wahr, woraus er schloss, dass es Tag sein musste und er die Nacht überlebt hatte. Der Raum aber wirkte anders.
Mit der Zeit entwickelte sich vor seinem inneren Auge eine Vorstellung von dem scharfen, aufdringlichen Geräusch, ein Bild von einer pumpenden, rasselnden Apparatur. Wie eine Erfindung von H.G. Wells oder eines dieser Teufelsdinger, die es in seiner Jugend auf Jahrmärkten für einen Penny zu sehen gegeben hatte.
Bryan öffnete die Augen. Der Raum war ihm fremd.
Neben seinem Bett stand ein zweites. Mehr Betten gab es nicht. Am Rand des anderen Betts hing ein Glaskolben, verbunden mit einem Schlauch, an dessen Innenseite gelbliche Tröpfchen entlang glitten. Der Kolben war zu einem Viertel gefüllt. Unter der Bettdecke atmete ein Mensch stoßweise und unregelmäßig. Das Gesicht war halb von einer Maske bedeckt – und auch das Gesicht war Bryan völlig fremd.
Auf der anderen Seite seines Zimmernachbarn stand
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