Das alte Kind
waren Bilder von Frederik erschienen, er war schließlich nicht irgendwer, schon gar nicht im kleinen Salzburg. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er Peter auf seinem Hotelzimmer empfangen, aber sein Freund hatte darauf bestanden, ihn im Café zu treffen. Seltsam hatte er geklungen, ganz anders als sonst, und nun kam er auch noch zu spät, eine halbe Stunde wartete Frederik bereits.
Sicher wollte er ihm die Freundschaft kündigen. Oder zumindest deutlich auf Abstand gehen. Das war nichts, was man einem alten Freund am Telefon sagte. Und wahrscheinlich wollte Peter so etwas wie neutralen Boden für dieses Gespräch. Hatte nur nicht bedacht, dass er nun in aller Öffentlichkeit mit Frederik gesehen wurde. Vielleicht hatte Peter aber gerade aus dem Grund das Café Bazar gewählt, um ganz öffentlich deutlich zu machen, dass er kein Freund von Frederik war. Es würde also peinlich werden. Als hätte er dank seiner Frau nicht schon genug Peinlichkeit ertragen müssen.
Fünf Tage lag ihr Auftritt in der »Drehscheibe« des ZDF zurück. Frederik hatte nichts davon gewusst oder auch nur geahnt, bis ihn sein Agent im Hotel angerufen und ihm gesagt hatte, er solle den Fernseher anmachen, in Salzburg empfinge man ja ohne Probleme das ZDF. Im ersten Moment hatte Frederik gedacht, es handele sich um einen Bericht über die anstehende Mozartwoche, über seine Konzerte. Aber dann hatte er Carla im Fernsehen gesehen, wie sie vom Moderator vorgestellt wurde als Deutschlands wichtigste Kuratorin und Auktionatorin. Der Moderator sprach von Carlas nächster Auktion, einer Lee-Miller-Retrospektive, stellte eine Frage und wartete mit professionellem Lächeln auf Carlas Antwort. Die nicht kam. Dafür sah Carla fest in die Kamera, schlug die Beine übereinander und sagte laut und deutlich, dies sei nicht der Grund, warum sie in die Sendung gekommen sei. Der eigentliche Grund sei ihre Tochter, ihre verschwundene Tochter, die jemand gegen ein krankes Kind ausgetauscht hätte, und nun wolle sie an die Eltern des kranken Kinds appellieren, sich doch endlich zu melden. Sie hätten keine Anzeige von Carla zu erwarten. Sie wolle nur ihre Tochter Felicitas zurückhaben. Dann hielt sie großformatige Fotos von Fliss in die Kamera: Das ist nicht meine Tochter. Sie wurde mir untergeschoben.
Die Kamera zoomte auf die Fotos, die sein Kind zeigten, die Entstellungen durch die Krankheit waren nicht mehr zu übersehen. Carla hielt ein anderes Bild in die Kamera, von Felicitas, als sie zwei Wochen alt war. Das ist meine Tochter. Ich will sie wiederhaben.
Er hielt den Telefonhörer noch ans Ohr gepresst, hatte ihn bereits vergessen, als er seinen Agenten scharf die Luft einziehen hörte: Was tut sie da, was ist da bloß in sie gefahren?
Hörbare Unruhe ging durch das Publikum. Der Moderator konnte seine Verblüffung nur schwer verbergen, brauchte einen Moment, um sich zu fangen, um ihr Fragen stellen zu können nach dem Wie und Was und Warum, und so bekam sie noch vier weitere Sendeminuten, bevor die Regie den nächsten Beitrag senden ließ. Vier Minuten, in denen sie aller Welt weismachte, ihre Tochter sei gar nicht ihre Tochter. Vier Minuten, in denen jeder, der vor dem Fernseher saß, begriff, dass Carla Arnim vollkommen den Verstand verloren hatte. Dass Frederik Arnim eine verrückte Frau und eine kranke Tochter hatte. Vier Minuten, die seine Karriere vollkommen zerstörten.
Die Zeitungen am kommenden Tag stürzten sich auf Carlas Auftritt, und die Schlagzeilen waren desaströs. Während manche noch spekulierten, ob etwas an Carlas Geschichte dran sein könnte, schrieb eine Boulevardzeitung von der Wahnsinnigen, die mit allen Mitteln versuchte, ihr krankes Kind loszuwerden. Die Reporter hatten herausgefunden, dass Carla einige Monate in der Psychiatrie verbracht hatte, und bereits am folgenden Tag gab es kein einziges Blatt mehr, in dem der Geschichte vom vertauschten Kind ernsthaft nachgegangen wurde. Carla war die Rabenmutter der Nation, vielleicht gab es welche, die sie bemitleideten angesichts Fliss’ schwerer Erkrankung, aber Frederik zweifelte daran. In jeder Zeitung fanden sich ausführliche Informationen über das Hutchinson-Gilford-Syndrom, ein angeblicher Experte aus München ließ sich von einem Boulevardblatt ausführlich interviewen. Frederik erfuhr von ihm aber auch nicht mehr als das, was die medizinischen Lexika ganz allgemein über die Krankheit hergaben. Die Überschrift lautete: Die Wahrheit über alte Kinder.
Bebildert war der
Weitere Kostenlose Bücher