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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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heute, ist mein Leben im Arsch.«
    »Fiona, das stimmt so aber auch nicht!«, rief er.
    »Nein. Klar. Geh jetzt. Ich hab’s satt, dich zu sehen.« Sie drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und schloss die Augen. Von Roger kam kein Laut. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie hörte, dass er das Zimmer verließ. Leise schloss er die Tür hinter sich.
    Vielleicht, dachte sie, als es endlich still war und draußen die Dämmerung einsetzte, vielleicht hatte sie es ja all die Jahre gespürt, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmte. Vielleicht gab es so viel in ihrem Unterbewusstsein, mit dem sie nicht fertig wurde, dass sich in einem schwachen Moment der Wille breitgemacht hatte, ihr Leben zu beenden. War so etwas möglich? Jedenfalls nicht unmöglicher als die Vorstellung, jemand hätte versucht, sie umzubringen. Sie hatten so viel Besuch, Mòrag und sie, jeder hätte das Radio in der Küche verstellen können. Und Fiona hatte schon ausgefallenere Dinge getan, als die Teelichte ihrer Mitbewohnerin zu benutzen. Oder Rosenblätter zu verstreuen. Vielleicht, dachte sie, vielleicht stimmt wirklich etwas nicht mit mir, vielleicht blendet mein Gehirn die Erinnerung daran aus, wie ich mich auf meinen Tod vorbereitet habe. Vielleicht sollte ich mich damit abfinden.

6.
     
    Als Mòrag anklopfte, war es schon Nacht. Sie schlich sich leise in Fionas Zimmer. Wieder trug sie ein Tablett, diesmal mit Essen. Sie stellte es auf dem Schreibtisch ab.
    »Du bist ja wach«, flüsterte sie und lächelte sie an. »Ich habe eine Suppe gekocht. Na ja, ehrlich gesagt habe ich eine von den Dosensuppen warm gemacht, die dein Vater mitgebracht hat.«
    Was die bessere Alternative war. Mòrag konnte nicht kochen. Aber Fiona war hungrig, sie hätte jetzt alles gegessen. Kurz überlegte sie, ob sie Mòrag bitten sollte, Roger nicht mehr als ihren Vater zu bezeichnen, aber dann hätte sie alles erzählen müssen, und das wollte sie nicht. Noch nicht.
    »Ist die Wohnungstür verriegelt?«, fragte sie.
    »Natürlich. Hast du den Handwerker verschlafen? Er hat ganze Arbeit geleistet und bei uns noch ein neues Sicherheitsschloss angebracht. Ich vermute, dein Vater übernimmt die Rechnung?«
    Sie musste sehr bald mit ihr über diese Sache reden, denn es versetzte ihr jedes Mal einen Stich, wenn sie »dein Vater« sagte. »Ja, er hat so was gesagt…«
    »Ich ruf ihn mal an, um mich zu bedanken. Wir könnten ihm ja…«
    »Wann gehst du arbeiten?«, unterbrach Fiona.
    »Oh. Ich bleibe die ganze Woche zu Hause. Ich konnte alle Termine verschieben, und das meiste erledige ich sowieso online. Überweisungen, Einkäufe, das ganze Zeugs. Du brauchst also keine Angst zu haben.«
    »Danke«, sagte Fiona und versuchte sich aufzusetzen. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie kippte wieder in ihr Kissen.
    »Ich helf dir«, sagte Mòrag und setzte sich auf Fionas Bettkante, um sie zu stützen. »Willst du mir erzählen, was gestern Nacht passiert ist?« Sie sah sie mit einem warmen Lächeln an.
    »Wenn ich das wüsste…«
    Fiona erinnerte sich, dass sie mit Mòrag auf die Ausstellungseröffnung einer deutschen Künstlerin gegangen war. Eine Galerie in Stockbridge hatte eine halbe Ewigkeit auf die in Berlin lebende Astrid Roeken eingeredet, mit ihren Bildern nach Schottland zu kommen. Diese hatte gezögert, da sie sich in den letzten Jahren auf die Arbeit mit Objekten konzentriert hatte, statt zu malen. Schließlich hatte man einen Kompromiss gefunden und ihre Bilder zusammen mit einer Auswahl ihrer Objekte ausgestellt. Mòrag war von den Bildern fasziniert: Köpfe, Gesichter, Fratzen. Entstanden während und nach Roekens Aufenthalt in New York. Fiona interessierten vor allem die Objekte: »I adore my unknown father«, eine Auseinandersetzung mit dem »Vater unser«, oder »Was wiegt der Schnee von gestern«, Fionas Lieblingsobjekt. Gerade standen sie vor »Primal Shadows« und begutachteten den exakt berechneten Schattenwurf der afrikanischen Holzfiguren auf den aufgeschütteten Sandhaufen. Der Ausstellungsraum war zum Bersten voll, und der Sekt floss in Strömen. Die Künstlerin wirkte zart, zerbrechlich fast neben dem Galeristen, der eine Figur wie ein Profiboxer hatte. Sie strahlte Lebensfreude aus, scherzte mit den Journalisten, zog die Aufmerksamkeit der ansonsten aus Prinzip gelangweilten Kunstgesellschaft auf sich. Mòrag war nach wenigen Minuten so von ihr eingenommen, dass sie unbedingt eine Doku über sie machen wollte. Sie drängelte sich zu der Künstlerin

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