Das alte Kind
Lederschuhe. Cedric hatte ihm seine neue Garderobe finanziert: fünf Anzüge, zehn Hemden, zehn Krawatten, drei Paar Schuhe, drei passende Gürtel, zwei Trenchcoats. Sogar Krawattennadeln, Manschettenknöpfe und Socken hatte er ihm kaufen lassen. Eine neue Brieftasche. Und so weiter. Ben hatte in seinem ganzen Leben noch nie so teure Kleidung besessen. Und ehrlich gesagt hätte er sich in seinem ganzen Leben niemals diese Sachen gekauft, selbst wenn er das Geld dazu gehabt hätte.
Um Viertel nach sieben fuhr er zu dem Stellplatz der Mercedes-Limousine in der Garage, die den leitenden Angestellten von ImVac zur Verfügung stand. Er checkte die üblichen Funktionen, so überflüssig es ihm auch vorkommen mochte, kontrollierte, ob sich jemand an dem Auto zu schaffen gemacht haben könnte, und fuhr um kurz vor acht nach Durham zu Chandler-Lyttons Haus. Dort wartete er, bis dieser um Punkt halb neun gut gelaunt aus der Haustür gefedert kam. Dann stieg Ben aus, öffnete ihm die Wagentür, Chandler-Lytton warf sich mit seiner Aktentasche auf die Rückbank, wünschte einen guten Morgen, und Ben ließ sich wieder auf den Fahrersitz gleiten, um zur Firma zurückzufahren. Ben wurde nie ins Haus gebeten.
Gegen neun parkten sie in der Garage. Sie fuhren jedes Mal eine andere Route. Chandler-Lytton hatte Angst vor Anschlägen »überambitionierter Tierschützer«, wie er es nannte. Manchmal sagte er auch »Ökoterroristen«. Die Limousine hatte kugelsicheres Glas, wie auch die Fenster seines Büros. Man kam nur mit einer Codekarte, kombiniert mit dem Fingerabdruck, in das Gebäude. Die Etage, auf der Chandler-Lyttons Büro lag, war noch einmal zusätzlich gesichert, nur die allerwenigsten hatten Zutritt. Auch dort war Ben noch nie gewesen. Er verbrachte seine Wartezeit gemütlich mit dem jeweiligen Diensthabenden in der Portiersloge. Dort gab es immer frischen Tee, aus der Kantine bekamen sie so viel zu essen, wie sie wollten. Alle Portiers waren in Wirklichkeit Sicherheitsbeamte, die nicht nur den Eingang, sondern auch sämtliche Neben-, Hinter- und Kellereingänge via Monitor im Blick hatten. Ben fand heraus, dass es irgendwo im Gebäude noch einen Raum mit Monitoren gab. Dort saßen drei Sicherheitsbeamte und starrten auf insgesamt wohl dreißig Monitore, wenn nicht noch mehr. Behauptete jedenfalls Brady, mit dem Ben die meiste Zeit seiner ersten Arbeitswoche totgeschlagen hatte. Das Gebäude wurde rund um die Uhr bewacht. Viele Bereiche waren wie Hochsicherheitsgefängnisse gesichert, zu den Beagles, an denen die Tierversuche vorgenommen wurden, hatten nur wenige Auserwählte Zutritt, und über jeden einzelnen Mitarbeiter gab es eine umfangreiche Akte mit einem Hintergrundcheck. Als Ben davon erfahren hatte, hatte er von Easington aus sofort bei Cedric angerufen.
»Das weiß ich«, hatte dieser nur gesagt. »Ich kenne die Sicherheitsfirma, die für ihn arbeitet, und weiß, wie sie ihre Hintergrundchecks machen. Machen Sie sich keine Sorgen. Man hält Sie für den, als der Sie sich vorgestellt haben.«
Ben hatte gelacht. »Wozu brauchen Sie mich eigentlich noch?«
Cedric antwortete: »Weil Chandler-Lytton mich kennt. Und weil ich dazu das Haus verlassen müsste.«
Das hatte man von einem agoraphoben Auftraggeber. Er war ein Meister im Recherchieren, verließ das Haus aber nur, wenn es unbedingt sein musste.
Chandler-Lytton ließ sich am Abend gegen halb sieben nach Hause fahren. Danach brachte Ben den Wagen zurück in die Garage, fuhr mit seinem Auto zum Haus seiner Eltern, machte einen Spaziergang – immer dieselbe Runde, für den Fall, dass sie den Hintergrundcheck bei ihm etwas genauer nahmen – und ging früh auf sein Zimmer. Dort las er sich im Netz so ziemlich alles über Embryonenforschung und IVF, über ImVac und Tierversuche an, was er finden konnte.
Ben kam die Eintönigkeit seiner Arbeit gerade recht. Er hatte Zeit, sich mit dem Grundriss des ImVac-Komplexes vertraut zu machen, hatte eine gute Kumpelbasis mit Brady aufgebaut, erfuhr mehr über das Sicherheitssystem bei ImVac (und an Chandler-Lyttons Privathaus), als er sich notieren könnte, ohne aufzufallen, und beobachtete – nichts. Insgeheim hoffte er, dass es noch eine ganze Weile so bleiben würde. Abgesehen davon war er froh, Abstand zu seiner Freundin Nina zu haben und der ewigen Frage, was er mit seiner Zukunft und ihr alles vorhatte. Er verdiente gut, da er doppelt bezahlt wurde: ein reguläres Chauffeursgehalt von Chandler-Lytton (mehr, als er
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