Das alte Kind
nicht mal seinem besten Freund.
Hättest du nur mit mir geredet, sagte Peter und schüttelte traurig den Kopf. Bin ich denn kein guter Freund gewesen?
Jetzt, dachte Frederik, jetzt würde er ihm sagen, dass sie keine Freunde mehr waren. So einfach machte er es sich also, ihm, Frederik, vorzuwerfen, ihn nicht ins Vertrauen gezogen zu haben. Statt geradeheraus zu sagen: Ich schäme mich für dich und deine Frau und dieses monströse Kind, ich will nichts mehr mit euch zu tun haben.
Doch, du warst der beste Freund, den ich hatte, sagte Frederik, und ich verstehe, dass du dich von mir abwendest. Was sollte er auch sonst sagen. Besser, sie brachten es schnell hinter sich.
Abwenden?, rief Peter aufgebracht, und nun gaben sich die Leute keine Mühe mehr, nur heimlich zu ihnen rüberzuschauen. Nun starrten sie die beiden neugierig an. Peter legte feierlich eine Hand auf Frederiks Schulter und sagte ihm: Ich bewundere dich aufrichtig, mein Freund. Und ich bin nicht der Einzige. Alle Welt bewundert dich dafür, wie du dein Schicksal erträgst. Weiß Gott, du hast es nicht leicht. Und hast doch nie gejammert. Peter nickte ihm zu.
Alle Welt?, stotterte Frederik und begriff gar nichts.
Alle Welt, wiederholte Peter. Sie wollen dich am Mozarteum haben, und unter uns, sie sind bereit, sehr großzügig zu sein.
Frederik begriff noch immer nicht.
Du bist ein Held. Ein Ausnahmepianist, wie er im Buche steht, und dazu noch ein Held. Ein so schweres Schicksal, dein Schlüssel zum Erfolg. Ich hatte schon die ganze Zeit den Eindruck, dass du mit viel mehr Tiefe spielst als noch vor zwei Jahren, und jetzt weiß ich endlich, warum.
Mehr Tiefe, wiederholte Frederik und wusste noch nicht, was er davon halten sollte, es musste Hohn sein, Spott, Ironie, was der Freund da sagte, anders konnte es nicht sein.
Er begriff erst, was vor sich ging, als der Leiter der Mozartfestspiele von der Straße hereingestürmt kam, um ihn lauthals zu begrüßen.
Mein lieber Arnim, rief er und breitete die Arme aus, was einen herumeilenden Kellner fast das Tablett kostete. Mein lieber Arnim, wie schön, Sie zu sehen, lassen Sie uns heute Abend zusammen essen. Und nur Sekunden später stand ein Herr auf, der zwei Tische entfernt gesessen und ununterbrochen geraucht hatte, drängte sich vor Frederiks Essenseinladung und stellte sich als Rundfunkredakteur des ORF vor, er hatte gehofft, ihn in Salzburg zu treffen, wäre heute noch in sein Hotel gekommen, um einen Termin zu machen, ein Interview wäre im Moment genau das Richtige. Genau das Richtige, um zu zeigen, was Frederik für ein Mann war. Was er so heldenhaft ertrug. Was ihn berührte und seinem Spiel eine neue Tiefe verlieh.
Frederik hatte keine Ahnung, ob er mit mehr Tiefe spielte oder nicht. Er war eher der Meinung, die letzten Konzerte zerstreut absolviert zu haben. Gut, dass er aus seinem Repertoire schöpfen konnte, nichts Neues hatte man gefordert. Aber mehr Tiefe? Würden sie das auch über seinen Mozart sagen?
Wir müssen auch darüber reden, wie es kommt, dass Sie endlich Mozart spielen, rief der Redakteur. Ist es, weil Mozart so besonders gut für kleine Kinder sein soll?
Frederik nickte verwirrt, bedankte sich, machte Termine, ließ sich von den Männern auf die Schulter klopfen.
Als er mit Peter wieder allein war, sagte sein Freund: Was auch passiert, lass dich bloß nicht scheiden.
Oh nein, das würde er nicht. Warum auch? Er musste Carla geradezu dankbar sein, dass sie sich in der »Drehscheibe« zur Wahnsinnigen des Jahrzehnts gemacht hatte.
7.
Zugegeben, er kontrollierte seit einer guten Woche sein Handy regelmäßig und in verhältnismäßig kurzen Abständen, um zu sehen, ob Fiona sich gemeldet hatte. Er beschloss, es als gutes Zeichen zu werten, dass er nichts mehr von ihr hörte. Und selbst wenn es einfach nur bedeutete, dass sie sauer auf ihn war, weil er keine Lust gehabt hatte, sich für ihre Hirngespinste einspannen zu lassen – ihm sollte es recht sein. Aber manchmal, wenn auch nur für wenige Sekunden, machte sich Ben ein kleines bisschen Sorgen um sie.
Sein Job als Chauffeur verlief eintönig und stressfrei. Jeden Tag dieselbe Routine: Um halb sieben stand er auf, lange vor seinen Eltern. Um sieben Uhr fünfzehn hatte er geduscht, gefrühstückt und sich den obligatorischen dunklen Anzug mit weißem Hemd und dezenter Krawatte angezogen. Chandler-Lytton legte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres, und so putzte Ben auch jeden Morgen die eleganten schwarzen
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