Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
schrie sie gellend und duckte sich unter das Teleskop.
    Der ganze Turm bebte; Steine knirschten, und einen Moment lang ging sogar der Lärm des Wasserfalls in einem Krachen unter, das sich anhörte, als wäre die Insel durch den ersten Aufprall der Welle dem Erdboden gleichgemacht worden.
    Doch nach ein paar Sekunden beruhigte sich der Boden, und das Krachen und Tosen der Fluten wurde zu einem gebändigten Brüllen, wie das eines Betrunkenen, der sich der Gegenwart anderer bewusst wird. Sabriel zog sich am Dreibein hoch und schlug die Augen auf.
    Die Mauer und Wände hatten standgehalten, doch wenngleich der hohe Wellenkamm vorbei war, tobte der Fluss lediglich eine Handspanne unterhalb der Verteidigungsmauer und reichte fast bis zu den Tunneltüren an beiden Ufern. Von den Trittsteinen war so wenig zu sehen wie von der Sargbrücke, von den Toten, den Sklaven – da war nur der breite braune Strom, der alles mit sich riss: Bäume, Büsche, Hausteile, Vieh, Eisschollen. Die Überschwemmung hatte über Hunderte von Meilen hinweg, an jedem Nebenfluss, ihren Tribut gefordert.
    Sabriel blickte auf die schreckliche Vernichtung und schätzte stumm die Zahl der Geketteten, die ums Leben gekommen waren. Wer wusste schon, wie viele Leben flussauf erloschen waren, wie viele Existenzen zerstört worden waren? Sabriel versuchte die Benutzung der Flut ganz nüchtern zu sehen und damit zu entschuldigen, dass sie die Wassermassen hatte rufen müssen, um weiterhin gegen den Tod zu kämpfen. Doch der quälende Gedanke, dass sie die Flut nur gerufen hatte, um sich selbst zu retten, ließ sich nicht verdrängen.
    Mogget vergeudete keine Zeit mit derartigen Überlegungen oder sinnlosen Selbstvorwürfen. Er wartete noch kurz, während Sabriel aus dem Fenster schaute; dann trippelte er zu ihr und schlug die Krallen in ihren Pantoffel und den Fuß darunter.
    »Au! Was hast du…«
    »Wir können es uns nicht leisten, aus dem Fenster zu starren und die Zeit zu vergeuden«, tadelte Mogget. »Die Sendlinge bauen den Papiersegler auf der Ostmauer auf. Deine Kleidung und Ausrüstung muss spätestens in einer halben Stunde gepackt sein.«
    »Ich habe alles…«, begann Sabriel, als sie sich plötzlich erinnerte, dass ihr Rucksack und die Skier am unteren Ende des Tunneleingangs zurückgeblieben waren und der Mordicant die Sachen wahrscheinlich verbrannt hatte.
    »Die Sendlinge haben alles, was du brauchen wirst, und noch ein paar nutzlose Dinge dazu, wie ich sie kenne. Zieh dich an, pack alles zusammen, dann kannst du nach Belisaere aufbrechen. Ich nehme doch an, dass du nach Belisaere willst?«
    »Ja«, antwortete Sabriel knapp. Ihr war der selbstgefällige Ton Moggets nicht entgangen.
    »Weißt du den Weg dorthin?«
    Sabriel schwieg. Mogget kannte die Antwort bereits; darum sein herablassender Tonfall.
    »Hast du eine – äh – Karte?«
    Sabriel schüttelte den Kopf. Sie ballte die Hände, um sich zu beherrschen, denn sie hatte nicht übel Lust, Mogget kräftig am Schwanz zu ziehen. Sie hatte im Studierzimmer gesucht und mehrere Sendlinge gefragt, doch die einzige Karte im Haus schien die Sternkarte im Turm zu sein. Abhorsen – Vater – hatte die Karte, von der Oberst Horyse erzählt hatte, vermutlich bei sich. Plötzlich war sie verwirrt, was seine und ihre Identität betraf. Wenn sie jetzt Abhorsen war, wer war ihr Vater? Hatte auch er einmal einen Namen gehabt, der ob seiner Verpflichtung, Abhorsen zu sein, verloren gegangen war? Alles in Sabriels Leben, was ihr noch vor wenigen Tagen so sicher und fest erschienen war, zerfiel. Sie wusste nicht einmal, wer sie selbst wirklich war, und von allen Seiten stürmten Schwierigkeiten auf sie ein. Sogar Mogget, angeblich bloß ein Diener der Abhorsen, trug eher zur Verwirrung als zur Klärung der Lage bei.
    »Hast du etwas Erfreuliches zu sagen – etwas, das vielleicht hilfreich wäre?«, brauste sie auf.
    Mogget gähnte und zeigte seine rosa Zunge, was Sabriel als absolute Verachtung auslegte.
    »Nun ja. Natürlich. Ich kenne den Weg, darum begleite ich dich lieber.«
    »Mich begleiten?« Jetzt war Sabriel ehrlich überrascht. Sie öffnete die Fäuste, beugte sich hinunter und kratzte Mogget zwischen den Katzenohren, bis er sich ihr durch Ducken entzog.
    »Jemand muss sich doch um dich kümmern«, fügte er hinzu. »Wenigstens bis du eine echte Abhorsen geworden bist.«
    »Das ist nett. Trotzdem hätte ich gern eine Karte. Wenn du das Land so gut kennst, wäre es da nicht möglich, dass du es

Weitere Kostenlose Bücher