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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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sie alle Chartersymbole durch, blitzschnell und verzweifelt.
    Da erinnerte ihr müder, erschütterter Geist sich an den Ring. Der kühle Silberreif steckte am Zeigefinger ihrer freien Linken.
    Sie wusste nur nicht, was sie damit tun sollte – und das Wesen stürmte nun mit gesenktem Kopf auf sie zu. Es streckte den Hals aus, der länger und länger wurde, und der Kopf hob sich wie der einer Schlange. Das Maul öffnete sich immer weiter, wurde heller und zischte, bis weiß glühende Funken Sabriels Helm und ihr Gesicht versengten. Sie brannten sich in Stoff und Haut und ließen winzige Narben zurück, die wie Tätowierungen waren. Der Ring lockerte sich an Sabriels Finger. Instinktiv ballte sie die Hand zur Faust, wobei der Ring sich noch mehr lockerte und den Finger hinunterrutschte, während er sich vergrößerte und immer weiter wurde, bis Sabriel wusste – ohne danach sehen zu müssen –, dass sie einen Silberreifen in der Hand hielt, dessen Durchmesser so groß war wie der Kopf des Wesens oder noch größer. Und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
    »Zuerst ein Auge herauszupfen«, sagte das Wesen. Sein Atem war so heiß wie die fallenden Funken und versengten Sabriels Gesicht wie ein starker Sonnenbrand. Die Kreatur legte den Kopf zur Seite und öffnete das Maul noch weiter.
    Sabriel warf einen letzten Blick auf ihren Angreifer und kniff die Augen zu, um sie vor dem grellen Licht zu schützen. Dann warf sie den Silberreifen hoch – über den Hals der Kreatur, wie sie hoffte.
    Eine Sekunde, während deren die Hitze noch stärker wurde, spürte Sabriel ein schreckliches Brennen an einem Auge, und sie glaubte schon, ihr Ziel verfehlt zu haben. Dann wurde ihr der Reifen aus der Hand gerissen und sie selbst durch die Luft geschleudert wie eine zu kleine Elritze von einem zornigen Angler.
    Als sie auf dem kühlen Pflaster landete, schlug sie die Augen auf. Das linke war verschwommen und schmerzte; Tränen strömten heraus – aber es war noch da und besaß noch seine Sehkraft.
    Sabriel hatte mit dem Silberreifen richtig getroffen; er glitt nun den langen, geschmeidigen Hals der Kreatur hinunter. Im Gleiten schrumpfte er, und die verzweifelten Versuche des Wesens, den Ring abzustreifen, schlugen fehl. Es hatte nun sechs oder sieben Hände an den Gliedmaßen, die unmittelbar aus seinen Schultern wuchsen, und bemühte sich, einen oder mehrere Finger unter den Ring zu stecken, um ihn abzuziehen. Doch das Metall war ziemlich abträglich für die Substanz, aus der die Kreatur bestand – so wie eine heiße Bratpfanne für menschliche Finger –, denn die Tentakelfinger zuckten vor dem Ring zurück und tänzelten um ihn herum, konnten ihn aber nie länger als eine Sekunde berühren.
    Die Dunkelheit, die das Wesen befleckte, verebbte ebenfalls, verschwand nach unten durch die um sich schlagenden Gliedmaßen und den Körper und ließ nur ein glühendes Weiß zurück. Trotzdem kämpfte die Kreatur nach wie vor mit dem Ring. Ihre feurigen Hände formten sich immer wieder aufs Neue; ihr Rumpf wand und drehte sich; ja, sie bockte sogar, als könnte sie den Ring abwerfen wie ein Pferd den Reiter.
    Schließlich gab sie auf und wandte sich schreiend und kreischend Sabriel zu. Zwei lange Arme entsprangen ihrem Leib und langten nach dem am Boden liegenden Mädchen. Krallen, die tiefe Kratzer in den Steinen hinterließen und sich Sabriel näherten wie Spinnen ihrer Beute – doch weiter als bis einen Schritt vor sie reichten sie nicht.
    »Nein!«, heulte das Ding, und sein sich windender, verdrehter Körper warf sich mit ausgestreckten Armen vorwärts. Doch wieder reichten die gezückten Krallen nicht weit genug, als Sabriel davonkroch und sich herumrollte.
    Plötzlich zog der Silberring sich weiter zusammen und ein jämmerlicher Schrei drang genau aus der Mitte der weiß flammenden Kreatur. Die Arme schrumpften zu ihrem Rumpf zurück, der Kopf fiel zwischen die Schultern, und der gesamte Körper sank zu einer formlosen Masse aus schimmerndem Weiß zusammen – mit einem einzelnen, großen Silberreifen um die Mitte. Der Rubin schimmerte wie ein Blutstropfen.
    Sabriel starrte das Ding an. Sie konnte den Blick nicht abwenden oder sonst etwas tun, ja, nicht einmal das Blut stillen, das ihr aus der Nase strömte und bereits die Hälfte ihres Gesichts und das Kinn bedeckte. Ihr Mund war von getrocknetem, sich verkrustendem Blut verklebt. Es schien ihr, dass etwas fehlte, dass etwas noch nicht getan war, was sie unbedingt tun

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