Das Amerikanische Hospital
Onkel Jean-Luc, was ihre Mutter ihr
streng verboten hatte, und zeigte ihm die rosa und grüne Wasserpistole, die er mitgebracht hatte. Es war Sommer, und in der niedrigen, nach Süden ausgerichteten Wohnung stand die Hitze, und sie hielt sich den Lauf der Wasserpistole in den Mund und spritzte das lauwarme Wasser hinein. Da packte er sie am Arm, riss mit der freien Hand den Lederimitatgürtel aus der Hose, drehte ihn zu einer Schlaufe und versohlte ihr damit den Hintern. Und bei jedem Schlag schrie er: Du - sollst - nicht - lügen! Du - sollst - keine - Lügen - über - deine - Mutter - erzählen! Weil der Gürtel fehlte, rutschte die Hose, sodass unter dem hellblauen, kurzärmligen Hemd, das er trug, seine Unterhose zu sehen war, da musste er aufhören. Dann zertrampelte er die Wasserpistole mit seinen blankgeputzten schwarzen Schuhen zu rosafarbenen und grünen Splittern. Ihre Mutter hatte den Fernseher eingeschaltet, um das Geschrei nicht zu hören.
Mit zwölf war sie in die kleine Eisenbahnerwohnung ihrer Großeltern in der Rue des Batignolles gezogen, wo auch ihre Tante lebte, die ältere Schwester ihrer Mutter, eine Junggesellin, mit der sie das Zimmer teilte. Der Großvater starb schon kurz nach seiner Pensionierung, aber an den Drei-Frauen- und Drei-Generationen-Haushalt dachte sie gern zurück. Da sie eine gute Schülerin war, wurde sie in Chaptal aufgenommen, und nachmittags traf sich der maoistische Schülerclub in einem Café an der Place Clichy nahe dem Wepler und las Althusser. Aber das war später.
Und Ihre Mutter?
Onkel Jean-Luc war ja auch verheiratet und hatte eine Tochter, die so alt war wie ich. Ich erinnere mich an
gemeinsame Ausflüge in den Bois de Vincennes. Er ist gerudert, und wir haben die Hände durchs Wasser ziehen lassen. Mein Vater hat noch einen weiteren Versuch gemacht, ihm zu entkommen, und ist von Melun nach Auxerre gezogen, noch mal hundert Kilometer weiter weg.
Da war Hélène nicht mehr mitgegangen, sondern hatte sich nach fürchterlichen Streitereien in die Obhut ihrer Großmutter geflüchtet, zurück nach Paris. Ihre Mutter hatte danach Jean-Luc überredet, seine Frau zu verlassen, und sie gingen gemeinsam in die Banlieue. Aber das funktionierte nur ein halbes Jahr.
Wahrscheinlich war die Liebe, die ja auch nicht mehr frisch war, nicht tragfähig, meine Mutter, die ebenso viel trank wie mein Vater, war zänkisch und auch nicht mehr so schön wie ehedem. Jedenfalls ist Jean-Luc nach einem halben Jahr reumütig zu seiner Familie zurückgekehrt und meine Mutter zu ihrem Mann, rechtzeitig, um ihn die letzten Monate zu pflegen und dann zu beerdigen.
Und was ist aus ihr geworden?
Sie ist dort geblieben, in Auxerre, in ihrer Wohnung, bis die Fürsorge sie vor einigen Jahren daraus entfernt hat. Ich habe es mehrmals versucht, zuerst, den Kontakt wieder aufzunehmen nach dem Tod meines Vaters, mich wieder mit ihr anzufreunden, später, wenigstens ein normales Verhältnis zu ihr zu haben, noch später, ihr zu helfen. Es hat alles nichts genützt. Sie hat mich gehasst. Ich war die Eisenkugel an ihrem Fuß, die sie in ihrem ungeliebten Leben mit Mann und Kind gehalten hat.
Soldaten, das waren für mich die abgekauten Fingernägel meines Vaters und der bebende Hass auf die Araber,
die er dort unten auf dem Parkplatz der Siedlung traf und die im Treppenhaus mit ihm vor der blau lackierten Tür des Fahrstuhls warteten. Und der große, lachende, selbstbewusste Fliegerhauptmann Jean-Luc, der mir meine Mutter weggenommen und mir zum Trost Geschenke mitgebracht hat.
Der Amerikaner erzählte, er habe ganz andere Erinnerungen, die sich mit dem Wort Soldat verbanden. Eine Kopie von Winslow Homers Schlachtengemälde Prisoners from the Front über dem Sideboard im Wohnzimmer neben dem Gummibaum. Der Unionsoffizier, die Hände im Rücken gefaltet, der sich, ein Bein herrisch und ungeduldig vorgestellt, drei konföderierte Gefangene vorführen lässt, von denen zwei ziemlich abgerissen und niedergeschlagen aussehen, der dritte aber, einer mit langem Haar, frech und ungezogen die Hände in die Seiten stemmt und ebenfalls herausfordernd ein Bein vor das andere stellt.
Was habe ich dieses Bild studieren können als Kind. Jedes Detail und die Geschichten, die es erzählte, gingen mir bis in die Träume nach. Das rostige Bajonett meines Großvaters an der Wand. Uniformen mit leuchtenden Messingknöpfen, die perfekt auf Bügelfalte zusammengelegt, in Seidenpapier eingeschlagen, aus der Reinigung
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