Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
kamen. Salutschüsse bei Paraden in der Kaserne. Mein Vater, der sich sonntagmorgens vor der Messe im Badezimmer rasierte und dabei den River-Kwai-Marsch pfiff. Mein Vater, wie er meinem Bruder und mir zeigt, wie man Schuhe wichst. Meine Mutter und wir Kinder, wie wir am Tor stehen und ihm nachwinken, als er, die Reisetasche in der Hand, von einem Fahrer, der ihm den
Schlag aufhält und salutiert, abgeholt wird, und meine Mutter, die weinte, als am selben Abend LBJ im Fernsehen sprach. Das Glaskästchen mit den Orden auf der Anrichte. Als ich vierzehn war, nahm mein Vater seinen Abschied nach mehr als zwanzig Dienstjahren. Das war kurz vor oder kurz nach dem Pariser Abkommen. Wir sind eine Soldaten-Familie. Wie ich schon sagte. Aus Tradition und vom Vater zum Sohn. Es gab irgendwelchen Ärger oder Groll, weil er gehofft hatte, als General abzutreten, aber als Full Colonel entlassen wurde. Angefangen hat es mit meinem Großvater. Nein, eigentlich mit meinem Urgroßvater Cote. Der ist irgendwann Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus Kanada eingewandert, aus Quebec. Und sein Sohn war es, der die Tradition begründet hat. Der Kriegsheld, mein Großvater. Sagt Ihnen Belleau Wood etwas?
    La Forêt de Belleau? Nein, sagte sie, nichts.
    Ich glaube, es heißt Le Bois de Belleau. Bei Château-Thierry an der Marne. Ein historischer Sieg der Marines im Juni 1918. Und mein Großvater mittendrin. Als Zwanzigjähriger. Der Mythos des Marine. Ich bin mit solchen schneidigen Sätzen großgeworden, die mein Vater immer einmal wieder angeführt hat, den Großvater selbst habe ich ja nie gekannt. Retreat? Hell, we just got there! Oder ein anderer, entschuldigen Sie, es ist mehr ein Fluch als ein Satz: Come on, you sons of bitches, do you want to live forever? Als Aufforderung, durch ein Kornfeld hindurch eine MG-Stellung der Deutschen anzugreifen. Und nun bringen Sie das zusammen mit: Ich bin die Liebe und das Leben, was wir sonntags in der Messe hörten, dann haben Sie unsere Familie.

    Dass ich schließlich in einer Division gelandet bin, deren Wahlspruch lautet »First to fight«, kann dann kein Zufall mehr sein. Nein, erinnern Sie sich, dass ich Ihnen gesagt habe, ich müsste Ihnen Concord zeigen, um unser patriotisches Pathos verständlich zu machen? Es gibt auch noch einen anderen Weg: Als wir in Frankreich lebten, unternahm mein Vater mit uns eine Pilgerreise, zum Aisne-Marne-Memorial. Dort hat ein General eine Rede gehalten, die in Stein gehauen wurde und die wir auswendig lernen mussten, mein Bruder und ich. Meine Schwester als Mädchen war dispensiert. Ich kann sie noch: Immer wieder einmal wird ein Veteran hierherkommen, um die heldenhaften Tage jenes lang vergangenen Juni wieder zu erleben. Hier werden unsere neuen patriotischen Altäre errichtet, hier werden die Schwüre des Opfergeists und der Verpflichtung aufs Vaterland neu geleistet werden. Hierher werden unsere Landsleute in Zeiten der Depression, ja sogar in Zeiten des Scheiterns pilgern und an diesem Schrein großer Taten ihren Mut erneuern .
    Nicht schlecht, sagte Hélène. Aber in Sachen patriotischer Rhetorik macht uns Franzosen keiner etwas vor. Hierzulande steht ein solcher Schmus an jedem Wegstein.
    Der Amerikaner musste lachen. Sie sind wirklich unverschämt, Hélène.
    Und angesichts dieser Familientradition konnten Sie nun auch nicht anders, als ein Held zu werden?
    Ja, vielleicht. Obwohl, ganz so einfach war es nicht.
    Er erinnerte sich, dass damals eigentlich alles eher für seinen jüngeren Bruder Gregory gesprochen hätte. Gregory war the popular boy, er war der Baseballspieler, er
war der Sohn seines Vaters, auch schon vom Gesichtsschnitt her, während er, genau wie Isabelle, eher nach ihrer Mutter kam. Er war eigentlich mehr ein ruhiger Typ gewesen als Kind und Jugendlicher, ein Einzelgänger, Schwimmer. Lange einsame Wanderungen durch die Wälder, Birdwatching, das war nichts, womit man in der Schule hätte Ruhm erwerben können.
    Es hat sich geändert, als ich in der Schule einen bösen Spitznamen verpasst bekam: turtle boy. Wegen der Schwimmerei und so weiter. Nun müssen Sie wissen, der turtle boy, der Junge mit der Schildkröte, das ist eine Skulptur und ein Wahrzeichen von Worcester, zugleich aber auch, wegen der Art der Darstellung, eine Quelle für geschmacklose Anspielungen und Scherze. Wenn Sie in Worcester jemand so nennt, dann bleibt Ihnen eigentlich nur auszuwandern oder zuzuschlagen. Wahrscheinlich um diesen Hänseleien zu entkommen und

Weitere Kostenlose Bücher