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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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zugleich um mich dagegen wehren zu können, habe ich mit dem Rudern begonnen und in zwei Jahren fünfzehn Kilo an Muskelmasse zugelegt. Plötzlich war ich kein Hänfling mehr, sondern Schlagmann im Doppelzweier, zusammen mit meinem Freund gewann ich Regatten, Preise für die Schule, und ich habe irgendwie angefangen, an diesen Dingen Gefallen zu finden, Sport, Verantwortung, ein gewisses Repräsentieren. Und Gregory hat Vater schnell klargemacht, dass er Jurist werden wollte und es für ihn nicht infrage kam, zur Armee zu gehen. Und da die Familientradition ohnehin verlangt hat, der Erstgeborene müsse die Fahne hochhalten, mein Großvater war ja auch der Ältere gewesen, ja, doch, ich wollte das. Und ich sah auch keinen Widerspruch zu meinen anderen
Vorlieben. A man of books und zugleich a man of action, das war das Ideal, das mir vorschwebte.
    Dann war Ihr Großvater womöglich ja auch hier, sagte Hélène.
    Der Amerikaner schüttelte den Kopf. Er war ja kein Ambulanz-Fahrer, sondern Kriegsfreiwilliger. Nach dem Schuss, der ihm die Schulter zertrümmert hat - und da konnte er von Glück sagen bei den Kämpfen in Belleau, wo sie mit Bajonetten und nackten Fäusten aufeinander los sind -, nach dieser Heimatwunde ist er ins Feldlazarett gekommen und war im August 1918 wieder zu Hause. Vollbehängt mit Orden. Mein Vater war der einzige Sohn, meine Großmutter hatte danach noch fünf Fehlgeburten, ich weiß nicht, woran das lag.
    Und er ist dann auch Soldat geworden.
    Ja, er hat die Militärakademie besucht, dann als ganz junger Mann den Koreakrieg mitgemacht und fünfzehn Jahre später als Oberstleutnant Vietnam …
    Das Wort unterbrach das Gespräch.
    Und jetzt Sie, sagte Hélène. Meinen Sie, Ihr Land wird weiter so regelmäßig Kriege führen, dass auch Ihr Sohn wieder einen mitmachen kann?
    Muss. Mitmachen muss.
    Das erkennen Sie also doch an, dass der Krieg für den Soldaten keine reine Freude ist.
    Bestimmt nicht. Er ist eine merkwürdige Mischung aus momentanen Hochgefühlen und einer solchen Todesangst im Magen, dass es einen zugleich lähmt und einem die Gedärme öffnet, von unsäglich viel red tape, unklaren Lagen und Zusammenhängen, administrativer Dummheit, der Krieg ist nie zu überblicken, selbst ein
General sieht kaum mehr als Fabrice in Waterloo, man wartet und wartet und versucht, seine Ängste zu disziplinieren, versucht sich zu konzentrieren, versucht perfekt zu funktionieren, die Befehlskette nicht reißen zu lassen wegen eigener Schwäche oder zu viel Nachdenkens. Und immer sagt man sich: Ich tue das für ein höheres Ziel. Ich tue das, damit das Gute siegt. Ich tue das aus einer Art von Opfergeist heraus, ohne den keine Zivilisation entstehen kann. Und natürlich hofft man immer, der Krieg, in dem man gerade ist, möge der war to end all wars sein.
    Er muss relativ jung gestorben sein, Ihr Großvater, wenn Sie ihn nicht mehr gekannt haben.
    Ja, sagte der Amerikaner. Er war noch keine sechzig. Kurz nach dem Koreakrieg, mein Vater war noch nicht verheiratet. Ja, er litt an Parkinson. Die letzten zwei Jahre hat meine Großmutter ihn im Rollstuhl durch die Gegend geschoben. Damals konnte man noch nicht viel dagegen tun.
    Und Ihre Großmutter?
    War eine wunderbare Frau. Ma Cote haben sie alle genannt. Sie ist vorletztes Jahr gestorben. Hochbetagt. Eine richtige Pionierin. Eine Outdoors-Frau. Sie war es, die mit mir Vögel beobachten gegangen ist und von früher erzählt hat. Sie hat mir den Feldstecher meines Großvaters geschenkt und ein paar Brote eingepackt, und dann sind wir losmarschiert. Sie war Mitglied im Forbush Bird Club. Wir sind im Rutland State Park gewesen, am Wachusett Reservoir, in Cascades Park, überall, wo ich später auch alleine gewandert bin. Und sie hat mir die Vögel gezeigt. Baumwachteln, Raufußhühner, Weißbauch-Phoebetyrannen,
Blaurückenwaldsänger. Allein die Namen ergeben ein Gedicht. Und manchmal hinterher machten wir noch Rast am Grab meines Großvaters, und sie zupfte ein bisschen an den Blumen herum und redete mit ihm, als säße er neben ihr auf der Bank: So, mein Guter, das war ein schöner Tag, ich war mit dem Jungen im Wald, und wie geht es dir? Gut bei diesem herrlichen Wetter, hoffe ich. Morgen früh muss ich dran denken, in der Kirche eine Kerze für die Seele von Großvater Kerouac anzuzünden -.
    Erinnerst du mich daran?! Hat sie nicht auch gesagt: Erinnerst du mich daran?, unterbrach ihn Hélène. Das tut nämlich meine Großmutter immer, wenn sie am Grab

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