Das Amulett der Macht
seine Arme und sein Kopf lösten sich von seinem Rumpf.
Lara wandte sich erschüttert ab, dann wurde ihr bewusst, dass sie allein in dieser Kirche war, mit drei übernatürlichen Wesen, die gerade ihren Freund getötet hatten.
Sie schaute zur Tür, aber eine der Kreaturen stand direkt davor. Es gab nur ein Fenster, doch es war zu klein und lag zu hoch, als dass sie hätte hinausklettern können, bevor sie ihrer habhaft wurden.
Sie wusste aus Erfahrung, dass Kugeln diese Wesen nicht zu stoppen vermochten. Vielleicht konnte es der Wind, aber es wehte kein Wind in der Kirche.
Sie hatte einmal gedacht, dass Wasser Wirkung bei diesen Kreaturen zeigen würde, aber Wasser gab es hier auch nicht.
Die drei Sandwesen näherten sich ihr bis auf zehn Fuß, dann acht, dann fünf.
Sie zog das Skalpell von Isis aus dem Stiefel, bereit, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
»Kommt nur!«, knurrte sie. »Ich warte auf euch!«
Aber anstatt sie anzugreifen, knieten die drei Kreaturen vor ihr nieder.
Sie sind Diener des Amuletts, sagte eine Stimme tief in ihrem Kopf. Was sie mit diesem Mann getan haben, werden sie mit all unseren Feinden tun.
»Es gibt eine Menge Mahdisten, auf die die Welt gut verzichten könnte«, sagte sie leise. »Ganz zu schweigen von den Lautlosen.« Und dann, fügte sie im Geiste hinzu, nehmen wir uns die Mörder, die Vergewaltiger und Kinderschänder vor. Dann die Terrorstaaten. Und dann …
»Moment!«, rief sie laut. »Jetzt hast du mich schon dazu gebracht, so zu denken wie du! «
Wir sind miteinander verbunden, du und ich. Meine Macht ist deine Macht. Meine Diener sind deine Diener, verpflichtet zu tun, worum du sie bittest.
»Warte«, sagte Lara langsam. »Willst du damit sagen, ich hätte diese Wesen zurückrufen können, bevor sie den armen Malcolm umbrachten?«
Ja.
»Ich hätte ihn retten können«, sagte sie wie betäubt. »Er hat nicht darum gebeten, deiner Macht ausgesetzt zu werden. Er kam nur mit, um mich zu beschützen, und das ist der Lohn, den er dafür bekommen hat. Und jetzt entscheide ich, welche tausend meiner Feinde zuerst sterben sollen! Omar hatte Recht – niemand kann sich dagegen wehren, von dir verdorben zu werden!«
Sie hielt das Amulett in die Höhe und begann die acht Worte auszusprechen, die Omar ihr gegeben hatte.
NEIN!, schrie die lautlose Stimme.
Beim fünften Wort eilten die Sandwesen auf sie zu, griffen nach dem Amulett, aber sie sprang hinter den Altar und stieß die letzten drei Worte hervor, gerade als die Hand einer der Kreaturen nur noch Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt war.
Und mit einem Mal waren die Kreaturen verschwunden, übrig blieben nur drei Häuflein Sand, und in ihrer Hand hielt sie anstelle des Amuletts eine Faust voll Asche – und noch während sie diese Asche ansah, löste auch sie sich auf.
Dann folgte die schwere Aufgabe, Malcolm Olivers Überreste zu begraben.
Sie hob mit bloßen Händen ein flaches Grab aus und versuchte sich nicht zu übergeben, als sie die einzelnen Teile hineinlegte. Nachdem sie die Grube wieder zugescharrt hatte, nahm sie das Kreuz von der hinteren Wand und steckte es in den frisch aufgeworfenen Erdhügel.
Mir reicht ’s, dachte sie erschöpft, als sie zum Wagen hinausging. Ich habe genug vom Davonlaufen, genug vom Töten, genug von Artefakten, die nie sind, was sie zu sein scheinen, genug davon mit anzusehen, wie Menschen, die mir etwas bedeuten, ihr Leben oder ihre Seele verlieren, nur weil sie irgendwie mit mir zu tun haben.
Genug – ein für alle Mal.
TEIL 5
FRANKREICH
35
Der einzige Direktflug nach Europa ging per Jumbojet nach Frankreich, und so landete sie bald darauf in Paris.
Monatelang mied sie die Orte, an denen sie sich für gewöhnlich aufgehalten hatte. In der Vergangenheit war sie stets im Ritz oder im Plaza-Athenee abgestiegen, aber sie wollte niemandem begegnen, den sie kannte, niemandem aus der Zeit, die sie als ihr früheres Leben betrachtete – jenem Leben, mit dem sie nie wieder etwas zu tun haben wollte. Sie wohnte in dem kleinen, aber reizenden Hotel Brighton, direkt gegenüber den Tuilerien, den meilenlangen Gärten hinter dem Louvre. Es war nicht ganz so luxuriös, wie sie es gewohnt war, aber es war auch alles andere als ungemütlich. Ihre Suite auf der fünften Etage – es war das oberste Stockwerk, aber für ihre Verhältnisse war das nicht hoch genug, um die Suite als Penthouse zu bezeichnen – verfügte über zwei kleine Balkone, und wenn sie auf
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