Das Amulett der Pilgerin - Roman
hatten sie sich zu beiderseitigem Vorteil arrangiert, und Thorn hatte eine ausgezeichnete Unterkunft bezogen. Er blickte auf das breite Bett mit dem mit Gold verzierten Baldachin und dachte an Viviana. Heute Nacht würde er an das Ziel seiner Träume gelangen. Melchor betrachtete seine schmutzigen Fingernägel. Er sollte ein Bad nehmen, dachte er. Sehr wahrscheinlich würde er in einem der öffentlichen Bäder auch einen Bekannten treffen, was ihm die Gelegenheit geben würde, eine Geschichte in Umlauf zu bringen, weshalb er in London war. Die Leute bezeugten, wenn man sie befragte, eifrig alle möglichen Geschichten. Sie hatten keinerlei Beweise für das, was sie gehört hatten, präsentierten es aber, als wenn es die unbedingte Wahrheit wäre. Vermutlich lag es an dem urmenschlichen Bedürfnis, sich wichtigzumachen und dazuzugehören. Er musste aufpassen, dass White ihn nicht erwischte, ehe er den Kontakt mit den Verschwörern hergestellt hatte, dachte Melchor, als er die Treppe hinunterging und auf die Straße trat. Hoffentlich hatte er auch genug Zeit, die entschlüsselte Liste zu kopieren. Dann bräuchte er nur noch auf White zu warten. Er könnte ihn festnehmen und ihm die unverschlüsselte Liste unterschieben. In dem Fall war White der Strang sicher. Besser noch, er würde es Terrence überlassen, White festzunehmen, dann könnte niemand eine Verbindung zu ihm selbst herstellen. Terrence of Wiltonbridge war ein Mann, der gerne trank und gerne um Geld spielte. Er war Melchor bereits ein paar Mal behilflich gewesen, und dafür hatte er, Melchor, Terrence bei seinen Gläubigern ausgelöst. Besonders vorteilhaft war, dass niemand sie je miteinander in Verbindung bringen würde, ihre Bekanntschaft war rein geschäftlicher Natur. Terrence war sicherlich einmal so ein aufrechter Soldat wie White gewesen, aber Alkohol hatte sich in seine Seele gefressen und ihn korrumpiert. Umso besser für Melchor, der solche Männer für seine Zwecke zu nutzen wusste.
Julian und Rinaldo erreichten London am Vormittag. Nachdem sie die Pferde untergestellt hatten, hatten sie sich getrennt, um nach Thorn und Viviana zu suchen. Es war Julian nicht recht gewesen, dass Rinaldo ebenfalls Fragen stellen würde, denn seine Erscheinung war zu auffällig, und dies könnte Thorn vorzeitig warnen. Aber er konnte dem Spanier nichts vorschreiben, und außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis Thorn erfuhr, dass er aus dem Verlies entkommen war. Julian klapperte die üblichen Etablissements ab, die Thorn frequentierte, aber er hatte kein Glück. Am frühen Abend beschloss Julian, mit Simeon Kontakt aufzunehmen. Er hatte lange überlegt, ob er ihn in diese Sache mit hineinziehen sollte, aber er brauchte die Unterstützung seines Freundes. Immer noch nicht recht entschlossen, ging er durch die Straßen in Richtung des Handwerkerviertels. Es war ein Leichtes, sich in einer so großen Stadt wie London zu verstecken, und Melchor Thorn konnte überall sein. Wenn er nicht den Beweis führen konnte, dass Thorn im Besitz der Liste war, wäre er geliefert. Selbst wenn der Kardinal ihm seine Unschuld glauben würde, hätte Julian trotzdem durch sein eigenmächtiges Handeln die gesamte Mission zunichtegemacht. Jedenfalls sah es so aus. Die Anschuldigungen von Miss Marguerite erschienen, verglichen damit, fast nebensächlich. Doch es war fraglich, ob der König das auch so sah. Julian verlangsamte seinen Schritt, als er in die Eastlane abbog. Er hatte die Werkstatt fast erreicht, als er sah, wie die Tür des Hauses aufging und zwei Männer heraustraten. Julian verschwand in einer Toreinfahrt und spähte vorsichtig um die Ecke. Es waren Emmitt und Terrence. Was machte Terrence hier? Gehörte er zu der Verstärkung, die nach Saint Albans geschickt worden war? Sie kamen direkt an ihm vorbei. Julian drückte sich in den Schatten.
»Erst einmal brauche ich ein Bier!«
»Wir müssen einen Bericht an den Kardinal schicken«, hörte Julian Emmitt sagen.
»Schön eines nach dem anderen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Miller inzwischen Westminster erreicht hat und wahrscheinlich gerade jetzt dem Kardinal mit dem Fiasko in Saint Albans in den Ohren liegt.«
Die beiden Männer bogen in eine Querstraße ab. Julian lehnte sich an die kühle Wand der Hausdurchfahrt. Sie waren ihm zuvorgekommen. Was hatte Emmitt damit gemeint, dass sie einen Bericht an den Kardinal schicken müssten? Hatte er den jungen Mann nicht in Saint Albans von seiner Unschuld überzeugen
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt