Das Amulett der Pilgerin - Roman
Gastraum. Zwischen dem breiten Holzblock in der Mitte der Küche und dem offenen Herd lag der Gastwirt, mit dem Gesicht nach unten. Julians Hand schnellte zu dem Griff seines Schwertes, aber im gleichen Augenblick schlug etwas hart an seinen Hinterkopf, und er verlor das Bewusstsein.
Viviana saß auf dem Bett und band sich ein neues Kopftuch um, als sie plötzlich stutzte. Es war so still! Sie verharrte bewegungslos und lauschte. Julian hatte zweimal nach dem Wirt gerufen, aber er hatte keine Antwort bekommen. Wenn er sich jetzt mit Bert in Zimmerlautstärke unterhalten würde, müsste sie zumindest ein Murmeln hören. Irgendetwas stimmte nicht. Viviana spürte ein Prickeln auf der Haut. Sie saß weiterhin still da, und ihre Blicke suchten den Raum ab. Es sah genauso aus wie zu der Zeit, als sie das Zimmer verlassen hatte. Doch halt – ihr Bündel lag anders. Jemand war hier gewesen. Viviana stand lautlos auf. In ihrem Kopf schrillten alle Alarmglocken. Derjenige, und es waren wahrscheinlich mehr als einer, war noch hier. Wer hatte Julians geheimen Unterschlupf entdeckt? So leise sie konnte, schlich Viviana aus der Kammer und den Gang entlang. Sie spähte in die anderen zwei Kammern, deren Türen offen standen, aber niemand lauerte dort. Sie war äußerst vorsichtig, aber trotzdem knarrten die trockenen Holzdielen. Wer auch immer auf sie wartete, wusste genau, wo sie war. Am besten, sie tat so, als wenn sie nichts bemerkt hätte, dann hätte sie zumindest einen winzigen Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
»Nun, was gibt es zu essen?«, rief sie und lief leichtfüßig die Treppe hinunter. Sie überquerte den Hof und sah, dass das Hoftor geschlossen war. Sie saßen in der Falle! Viviana erreichte die Tür. Und genau in dem Augenblick, in dem sie aufrecht durch den Türrahmen getreten wäre, duckte sie sich und sprang blitzschnell über die Schwelle. Hinter ihr schlug ein Prügel hart an den Türrahmen. Der Angreifer blickte sich suchend um, als sie ihm auch schon von hinten ein Messer an den Hals hielt. Er ließ den Prügel fallen.
»Nutzloser Trottel, lässt dich von einem Weib übertölpeln.« In der Tür zur Küche stand ein kräftiger Mann. Die Haare seiner Halbglatze waren kurz geschnitten. Seine Oberarme, die aus dem ärmellosen Hemd herausragten wie Baumstämme, waren dagegen von wild wuchernden Haaren bedeckt.
»Du hast keine Fluchtmöglichkeit, Weib, kannst ihn also ruhig loslassen.«
»Wo ist mein Begleiter?«
Viviana spähte an dem Glatzköpfigen vorbei in die Küche. Julian lag leblos auf dem Boden, sein Haar war blutverklebt, und sie wusste nicht, ob er noch lebte. Viviana sah den Glatzkopf abwartend an, während sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlugen. Sie war in einer verzweifelten Lage. Es ging um Leben oder Tod.
»Gib die Liste raus.« Er streckte seine große Hand aus. Sogar die Finger waren behaart. »Oder deinem Gefährten hier wird es schlecht ergehen.«
Der dritte Mann packte Julian an seinem verletzten Arm und zerrte ihn in die Wohnstube. Der Schmerz durchdrang Julians Bewusstlosigkeit, er stöhnte auf, und seine Lider flatterten. Gott sei Dank, er lebt, dachte Viviana. Aber ihre Lage war aussichtslos. Zwar hielt sie immer noch dem einen der Angreifer ein Messer an die Kehle, doch sie war sich sicher, dass der Glatzkopf seinen eigenen Mann opfern würde, wenn es nötig wäre. Sie hätte nichts gewonnen, sondern ihn nur gegen sich aufgebracht.
»Die Liste.« Er winkte ungeduldig mit der großen behaarten Hand.
Sie entließ den Mann aus ihrem Griff, ließ das Messer fallen und holte aus ihrer Rocktasche die Liste hervor. Der Glatzkopf war nah an Viviana herangetreten, nahm die Pergamentrolle und steckte sie ein. Dann grinste er hämisch und packte sie an beiden Armen.
»Wollen wir doch mal sehen, was du sonst noch so versteckst, Weib.« Er bog Vivianas Arme hinter ihren Rücken und starrte sie lüstern an. Sie konnte sich nicht bewegen, trat aber mit ihren Füßen gegen seine festen Stiefel. Er hob sie hoch, trug sie in die Küche und warf sie auf den Tisch. Ehe sie sich aufrappeln konnte, zerriss er ihr Kleid, und seine Finger griffen nach ihren Brüsten.
Es war nicht das erste Mal, dass sich ein Mann nahm, was er wollte, um sie zu demütigen. Am besten war es, keine Gegenwehr zu leisten und es über sich ergehen zu lassen. Die meisten Männer fanden es langweilig, eine Frau mit Gewalt zu nehmen, die unbeweglich dalag. Dann gab es diejenigen, die wütend wurden, und man
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