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Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)

Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)

Titel: Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia B. McConnell
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möglichen Reaktionen ist, dass der Hund ruhig wird und einen »harten Blick« bekommt: Ein Ausdruck, der mit purer, offensiver Aggression einhergeht – nicht mit angstbestimmter defensiver Aggression oder passiver Hilflosigkeit. Er begegnet mir bei Hunden, die nicht willens sind, auch nur einen Zentimeter nachzugeben und die ihre Absicht mitteilen, ihre Drohung in die Tat umzusetzen. Er begegnet mir bei den wenigen Hunden, die meiner Meinung nach wirklich treffend als »dominant aggressiv« beschrieben werden können, wie der Wolfsmischling, dessen Mimik ich als »Tu das nie wieder« übersetzte und der mich mit einem einzigen, festen Biss disziplinierte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.
    Als ich meine Hand an Chesters Hinterlauf hinab bewegte und seine Pfote hochnahm, war ich darauf vorbereitet, dass er sich augenblicklich von dem großen, freundlichen Kerl, der er bis jetzt gewesen war, in einen dominant aggressiven Hund verwandeln könnte. 1 Chesters Augen veränderten sich nicht im geringsten, sein Blick blieb weich und sanft. Er wedelte weiter mit seinem ganzen Körper von den Schulten angefangen nach hinten. Sein Fang blieb offen und entspannt, seine Rute niedrig und entspannt, während er mein Gesicht leckte. Ich befahl ihm »Platz«. Er gehorchte, wobei er so heftig mit dem Schwanz wedelte, dass es seinen ganzen Körper von rechts nach links schaukelte. Ich rollte ihn sanft auf den Rücken und er schlabberte meine Hände mit seiner riesigen weichen Zunge ab. Ich ließ ihn aufstehen, gab ihm einen mit Käse gefüllten Knochen und streckte dann die Hand aus, um ihm den Knochen wieder wegzunehmen. Er schaute auf und leckte mir die Hand, um dann zu seinem Knochen zurückzukehren. Ich streckte die Hand ganz aus und nahm den Knochen wirklich weg. Er stand grinsend da und ließ es zu.
    Chester mag zwar ausgesehen haben wie ein Profiboxer, aber in meinem Büro benahm er sich nicht wie ein dominanter Hund und schien das auch zuhause nicht zu tun. John berichtete, dass er Chester jederzeit streicheln oder bürsten konnte, ihm Kletten aus dem Schwanz ziehen konnte, seine Spielsachen und seinen Futternapf wegnehmen konnte und ihn ohne Probleme aus dem Bett schubsen konnte. Chester mochte Gäste; er erlaubte Kindern, mit seinen Spielsachen spielen, ihn ausgiebig zu umarmen und sich auf ihn drauf zu setzen. Eigentlich hatte John nur dann mit Chester ein Problem, wenn er das Wort »nein« sagte.
    Nichts von alledem machte Sinn. Ich fing noch einmal ganz von vorn an und befragte John zur Geschichte des Problems. John erklärte, dass man ihn gewarnt hatte, Chesapeakes könnten sehr sture, willensstarke Hunde sein und dass man ihnen von Anfang an zeigen müsse, »wer der Herr im Haus ist«. Als Chester, sieben Wochen alt und gerade angekommen, zum ersten Mal ins Haus machte, war sich John sicher, ihm die richtige Korrektur zukommen zu lassen. »Nein,« dröhnte er, rannte zu Chester, packte ihn am Nackenfell, wie es ihm der Züchter geraten hatte, und schüttelte ihn kräftig. Dies geschah während der nächsten Tage öfter, wobei John jedes Mal die Kraft seines »Neins« und des Nackenschüttlers steigerte. Bloß diesen harten Jagdhund nicht verzärteln, auch wenn er noch ein Welpe war. Am zweiten Tag urinierte Chester, wie es ängstliche, unterwürfige Hunde häufig tun, nachdem John »Nein« geschrieen und nach ihm gepackt hatte. Als Chester die Ohren flach anlegte, sich auf den Rücken rollte und dabei urinierte, erkannte John, dass er seine Korrektur übertrieben hatte und hörte sofort mit seinem Angriff auf Chester auf. Das gleiche Szenario wiederholte sich während der nächsten Tage noch mehrmals: John schrie »Nein« und rannte zu Chester, woraufhin dieser sich duckte und dann urinierte.
    Ab hier ergibt die Sache Sinn. Chester lernte, dass John mit seiner Attacke auf ihn aufhörte, wenn er bei »Nein« urinierte. Später lernte Chester, das Urinieren mit einem lustigen »Haschmich«-Spiel zu verbinden, dass er John erfolgreich beibrachte und es in ein Herumtollen auf dem Bett und Beinheben am Kissen verwandelte. Dass er John vom Bett aus ansah, war vermutlich gar keine ernste Drohung. Ich würde wetten, dass Chester John ganz einfach ansah, um herauszufinden, was er als Nächstes tun würde. Mein persönlicher Verdacht ist, dass Chester, genau wie viele Jugendliche, mit Vergnügen dabei zusah, wie die Eltern vor hilfloser Frustration beinahe wahnsinnig werden und er hatte die perfekte Methode gefunden,

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