Das Aschenkreuz
vollbepackten Henkelkorb neben sich. Ihr rundes Gesicht mit dem Herzchenmund war rosig von der kühlen Morgenluft.
«Was schleifst du da wieder alles mit?»
Das Mädchen strahlte sie an.
«Mein Andachts- und Gebetbuch. Schließlich muss ich der guten Kandlerin ja auch geistige Labung bieten.»
«Ach ja?» Serafina zog das Tuch vom Korb. Zum Vorschein kamen zwei große Kanten Käse, ein halber Laib Brot, ein viertel Ring Hartwurst und ein verschlossenes Krüglein mit Wein. Augenblicklich begann ihr Magen zu knurren.
«Dass mich die Raben fressen! Das reicht ja für eine Großfamilie. Du weißt aber schon, dass die alte Kandlerin vom Niklasbeck versorgt wird?»
«Nun ja, kannst dir gern was nehmen.»
Serafina winkte ab.
«Lass nur, du sollst ja nicht vom Fleisch fallen.» Sie kniff der Freundin in die rundliche Hüfte. «Wer kocht eigentlich für uns, wenn du nicht da bist?»
«Unsere liebe Heiltrud.»
«Ach herrje – das wird eine karge Kost.» Nun klaubte sie sich doch ein Stück Krume aus dem Brotlaib. «Bist du eigentlich allein gekommen?»
Die Regel besagte nämlich, dass die freundlichen Armen Schwestern, wie sie von den Leuten auch genannt wurden, nicht allein durch die Gassen ziehen durften. Wobei dies in ihrem Hause nur für die Jüngeren galt.
«Die Meisterin höchstpersönlich hat mich gebracht.»
«So ist’s recht. Auf euch junges Gemüse muss man aufpassen.»
«Du redst ja daher wie meine Mutter.»
«Um Himmels willen – seh ich mit meinen dreißig Jahren etwa schon so alt aus?»
«Unsinn! Du weißt genau, dass du die schönste von uns allen bist.» Grethe grinste breit. «Auch wenn du in dem Alter bist, wo eine Frau die ersten Kinder großziehen sollte. Aber sei froh, dass du keine hast – meine Schwester hat nur Scherereien mit ihren Blagen.»
Bei diesen Worten war Serafina innerlich zusammengezuckt. Doch sie ließ sich nichts anmerken.
«Danke für die Schmeichelei! Aber ein Beginenweib kann gar nicht schön sein.»
«Du schon!»
Ein lautes Stöhnen von oben unterbrach ihre Plauderei.
Grethe zog ihren Korb weg. «Die Nächstenliebe ruft.»
Damit verschwand sie auch schon auf der engen Stiege nach oben.
«Sag noch, Grethe», rief Serafina ihr hinterher, «muss heut Nacht wieder jemand bei der Kandlerin wachen?»
«Nein, ihre Schwester kommt gegen Abend zurück.»
Wenigstens das. Serafina trat hinaus in die Kühle des angebrochenen Tages. Der Himmel war noch rosenrot gefärbt und ohne eine einzige Wolke. Was für ein wunderbarer Morgen! Ihr war, als hätte das Gewitter der letzten Nacht alles reingewaschen.
Begierig sog sie die frische Luft ein, bevor es in den Gassen wieder nach Schweinekot und den Inhalten der ausgeleerten Nachttöpfe stinken würde. Von den Abortgruben der Häuser ganz zu schweigen.
So hundemüde und hungrig sie war, wollte sie doch noch einen Abstecher zu Gisla machen, um sie nach einigen Heilkräutern zu fragen, die nicht im Garten von Sankt Christoffel wuchsen. Die Kräuterfrau gehörte zu jenen Menschen, die schon mit dem ersten Hahnenschrei auf den Beinen und gleich darauf bei der Arbeit waren. Im Falle von Gisla hieß das, auf Kräutersuche an den Uferwiesen der Dreisam oder am Waldrand. Daher erwischte man sie nur zur frühen Morgenstunde. Falls Serafina sich von ihr nicht wieder in ein Fachgespräch über Gartenkunde verwickeln lassen würde, konnte sie es hinterher noch rechtzeitig zur Morgenmesse bei den Barfüßern schaffen.
Sie überquerte den menschenleeren Platz vor dem Kirchhof des Münsters, auf dem tiefe Pfützen standen. Die Lauben der Kleinkrämer an der Friedhofsmauer waren zu dieser Stunde noch mit Brettern verschlossen, und es herrschte eine fast unheimliche Stille. Linkerhand bog sie in ein enges, düsteres Gässchen ein, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und einen Blick hinauf zum Münsterturm zu werfen, der, ein Wunder an Baumeisterkunst, kraftvoll und feingliedrig zugleich in schwindelerregende Höhe ragte. Das prächtige Gotteshaus war zu Recht der ganze Stolz der Freiburger, diente Unser Lieben Frauen Münster ihnen doch ganz bescheiden als Pfarrkirche. Gewiss wäre es noch um einiges herrlicher zu nennen, erhabener noch als die Konstanzer Bischofskirche, wäre da nicht die hässliche Bauruine auf der anderen Seite gewesen. Der Chor nämlich war umgeben von halbfertigen, hohen Mauern mit Säulen, die sich im Halbrund wie ein lückenhaftes Riesengebiss um die Ostseite der Kirche zogen. Halbwilde Hunde und Katzen trieben
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