Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
en der Nördlichen Karawanenstraße; im Ausglei werden ausschließlich nadrakische Karawanen nach Drasnien hereingelassen. So kommt es, daß Drasnien den gesamten Handel des Westens kontrolliert, der mit der Karawanenstraße in Verbindung steht, während Gar og Nadrak den gesamten Warenaustausch mit den anderen angarakanischen Staaten beherrscht. Aus diesem Grunde bekommt man ebenso selten einen Murgo oder Thull in Boktor wie einen Sendarer oder Tolnedrer in Yar Marak zu Gesicht, da die von den raffgierigen Karawanenmeistern beider Staaten erhobenen Gebühren jeden möglichen Gewinn praktisch auffressen.
Versuche tolnedrischer Unterhändler zur Zeit jener Konferenzen, die Drasnien in das tolnedrische Handelsimperium eingliederten, den Würgegriff der Drasnier über den Nordhandel zu brechen, blieben ohne jeden Erfolg; zu diesem Zeitpunkt begann Tolnedra sich nach einer anderen Ostverbindung umzusehen.
Indem sie sich der Vermittlung nyissanischer Sklavenhändler bedienten, die regelmäßigen Kontakt zu den Murgos hatten, konnten tolnedrische Handelsgesandte schließlich Gespräche in Rak Goska zustandebringen. Die Schwierigkeiten, die jeglichen Umgang mit den entsetzlich wortkargen Murgos kennzeichnen, sind kaum zu beschreiben. Die Gespräche – wenn man sie denn so nennen kann – dauerten ununterbrochen siebzig Jahre lang. Die Murgos schienen gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß die Drasnier und Nadraker praktisch ein Monopol auf den Ost-West-Handel besaßen, was die Tolnedrer zutiefst erboste. Zu guter Letzt wurde im Jahre
3853 eine Vereinbarung erzielt, welche die Südliche Karawanenstraße zwischen Tol Honeth und Rak Goska begründete. Es ist eine grausame Wegstrecke, und mehr als die Hälfte aller Karawanen, die sie zu befahren versuchen, geht verloren. Die Murgos reiten gewissenhaft Streife entlang der Straße, und wenn sie den geschützten Status der Straße selbst auch respektieren, so betrachten sie doch alle, die von diesem oft schlecht markierten Pfad abkommen, als potentielle Eindringlinge und fallen mit großer Brutalität über sie her.
Die einzig mögliche Alternativverbindung ist für immer geschlossen, da sie die Durchquerung des Aldurtals auf einer direkten Linie von Tol Honeth bis zur Grenze von Mishrak ac Thull einschlösse, und die sturen Algarier weigern sich hartnäckig, über das Thema auch nur zu sprechen oder über ihre Ostgrenze hinweg irgendwelchen Kontakt mit den Angarakanern zu gestatten. So kommt es, daß uns für das Studium der Angarakaner die meisten der üblichen Informationsquellen zur Geschichte eines Volkes verschlossen sind. Der Kaufmann war schon immer der treueste Freund des Historikers, und in einer Situation, in welcher der Handel so ernsthaften Beschränkungen unterliegt, sind die Informationen dermaßen kärglich, daß vieles von unserem Wissen über die Angarakaner das Ergebnis von Spekulation und Vermutungen ist.
Im wesentlichen haben wir also drei Stämme (oder vier – wenn man die Grolims als eigenes Volk zählt), die irgendwann gegen Ende des zweiten Jahrtausends aus den unerforschten Gebieten des westlichen Mallorea ausgewandert sind. Zwischen ihnen und den alornischen Völkern des Nordens existierte irgendeine alte und rätselhafte Feindschaft, und tausend Jahre lang versuchten sie nach Drasnien und Algarien vorzudringen, wurden aber von den legendären Kriegern jener Länder heldenhaft zurückgeschlagen. Mit der Zeit gingen diese Feindseligkeiten so weit zurück, daß ein gewisser, wenn auch minimaler Kontakt zwischen den Angarakanern und den Völkern des Westens möglich wurde. Im fünften Jahrtausend zogen die malloreanischen Horden unter Kal-Torak über die Landbrücke in das nordöstliche Gar og Nadrak, wo sich ihnen die Nadraker, Thulls und Murgos anschlossen, um den Westen zu erobern. Am Ende in der Schlacht von Vo Mimbre besiegt, flohen die überlebenden westlichen Angarakaner in ihre Königreiche am Ufer des Großen Ostmeers zurück. Das Jahrhundert nach der Invasion war von einem richtiggehenden Grenzkrieg zwischen Angarakanern und dem Westen gekennzeichnet. Scharmützel und Hinterhalte beider Seiten machten jene Grenze zu einem der gefährlichsten Orte in der bekannten Welt.
Nach und nach begannen die Beziehungen sich dann wieder zu normalisieren, und der Handel auf der Nördlichen Karawanenstraße wurde wieder aufgenommen, wenn auch in sehr eingeschränktem Maße. Nahezu fünfhundert Jahre mußten aber noch ins Land gehen, bis die
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