Das Auge der Fatima
junges sogar, wie ich sehe. Der Friede Allahs sei mit Euch. Ich vermute, Ihr seid ...«
»Ich bin Saddin al-Assim ibn Assim«, antwortete Beatrice und verneigte sich höflich. Sie wusste nicht so recht, was sie von dem kleinen Mann halten sollte. Seine Stimme klang so übertrieben fröhlich, wie Beatrice es eigentlich nur von manisch-kranken Patienten kannte.
»Seid gegrüßt, seid gegrüßt«, erwiderte der Mann und verneigte sich ebenfalls. »Mein Name ist Reza. Ich bin der Bibliothekar.«
Beatrice war nicht überrascht, das zu hören. Sein Gesicht war voller Runzeln und hatte fast die gleiche graue Farbe wie sein Haar, sein Gewand und die Kappe auf seinem Kopf. Er sah aus, als wäre er nicht einfach nur der Bibliothekar, er schien geradezu ein Teil der Bibliothek zu sein, geschaffen aus dem gleichen hellgrauen Stein wie die Halle. War das nur ein Zufall, oder gab es hier in dieser Halle giftige mineralische Stäube, die nicht nur Haut, Haar und Kleidung färbten, sondern durch Inhalation, zum Beispiel beim regelmäßigen Abstauben der Bücher, auch schädigende Einflüsse auf die Psyche hatten? Ausgeschlossen war es nicht.
Der klassische Fall einer umweltmedizinischen Erkrankung, dachte Beatrice. Wenigstens lächelt dieser Reza freundlich.
»Gefällt sie Euch?« Er deutete mit der Hand empor und beschrieb mehrere Kreise in der Luft. »Die Bibliothek, meine ich.«
»O ja«, antwortete Beatrice und fragte sich, ob sie tatsächlich so verwirrt und desorientiert aussah, wie sie sich gerade fühlte. »Ich muss gestehen, ich bin überrascht. Die Bibliothek ist wirklich sehr groß.«
»Nun ja.« Er trat so rasch von einem Fuß auf den anderen, dass es aussah, als ob er hüpfen würde. Es war ihm deutlich anzumerken, wie geschmeichelt er sich fühlte. »Natürlich lässt sich die Bibliothek hier in Gazna nicht mit denen in Bagdad und Damaskus vergleichen. Oder gar Jerusalem!« Er rieb sich die Hände, und ein eigenartiges gieriges Funkeln trat in seine Augen, so als ob er sich gerade die Frage stellen würde, ob es nicht an der Zeit wäre, Subuktakin einen Eroberungsfeldzug vorzuschlagen, um endlich die Bibliothek von Jerusalem plündern zu können. »Wir geben uns Mühe, und die Zahl der hier aufbewahrten Bücher steigt fast wöchentlich. Unser Herr und Gebieter, der edle Mahmud ibn Subuktakin, Beschützer der Gläubigen - Allah möge ihn segnen und ihm ein langes und erfülltes Leben schenken -, unterstützt uns dabei nach Kräften.« Er räusperte sich und trat nahe an Beatrice heran. Sehr nahe. Ein eigentümlicher Geruch wie von feinen Metallspänen ging von ihm und seiner Kleidung aus und bestätigte Beatrices Vermutung. Seine Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ihr habt nicht zufällig ein paar Bücher aus Eurer Heimat mitgebracht, die Ihr unserer Bibliothek zur Verfügung stellen wollt? Allah wird Eure Spende segnen und Euch ein langes Leben und viele Nachkommen schenken.«
»Nein, leider habe ich gar keine Bücher bei mir«, erwiderte Beatrice hastig und wich unwillkürlich ein paar Schritte von dem kleinen Bibliothekar zurück. Da war etwas in seinen Augen, das sie anwiderte. Wenn man ihr erzählt hätte, dass schon etliche Fremde spurlos verschwunden und nichts von ihnen außer ihren Büchern zurückgeblieben wären, so hätte es sie keinesfalls überrascht. »Aufgrund der langen Reise konnte ich mich nicht mit viel Gepäck belasten. Ich war gezwungen, mich auf das Allernötigste zu beschränken. Ich habe noch nicht einmal viele Kleider bei mir.«
»Ein Gelehrter ohne Bücher, wie traurig!«, sagte er, schüttelte den Kopf und lächelte dann wieder. Doch Beatrice kam dieses Lächeln falsch vor. Falsch und gefährlich. »Dann werdet Ihr die Annehmlichkeiten unserer Bibliothek ohne Zweifei besonders zu schätzen wissen. Wenn Ihr Fragen habt, so wendet Euch getrost an mich. Ihr findet mich zu jeder Zeit hier. Ich kenne jedes Buch und jedes Pergament, das hier aufbewahrt wird.«
»Ich danke Euch vielmals für Eure Freundlichkeit«, entgegnete Beatrice und zwang sich zu einem Lächeln. Sie hoffte inständig, dass Reza ihr wirklich glaubte. Trotzdem nahm sie sich vor, vorsichtig zu sein. Wenn der Kerl wirklich alle hier stehenden Bücher kannte, so wusste er bestimmt auch eine Menge über die Zubereitung und Anwendung von Giften. »Ich werde gern darauf zurückkommen und Eure Hilfe sicher des öfteren in Anspruch nehmen.«
Der Bibliothekar verneigte sich leicht.
»Herr, es ist Zeit
Weitere Kostenlose Bücher