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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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dass es seine Augen waren, die sie irritierten. Diese Augen waren ebenso weiß wie sein Gewand, sein Haar und sein Bart. Einen derart ausgeprägten grauen Star hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen. Rein medizinisch war es unmöglich, dass der Alte mit solch einer schweren Trübung der Linsen mehr sehen konnte als den Unterschied zwischen Licht und Schatten. Wahrscheinlich war er sogar blind. Trotzdem hatte Beatrice den Eindruck, dass er sie ansah. Nicht so wie andere Blinde oder Sehbehinderte, die sich anhand von Geräuschen, Umrissen oder Bewegungen orientierten. Nein, dieser Mann sah ihr wirklich ins Gesicht. Und Beatrice hatte den Eindruck, dass er dabei mehr erkannte als jeder andere hier im Raum.
    »Ihr seid Chirurg, ist das richtig?«, fragte er. »Oder habe ich mich verhört?«
    Es war eine rein rhetorische Frage. Sicher funktionierte das Gehör des Alten ausgezeichnet.
    »Nein, Ihr habt es richtig verstanden, ich bin in der Chirurgie ausgebildet worden«, sagte sie und hielt dem Blick der weißen Augen stand aus Angst, er könnte sie sonst bitten, ihn wieder anzusehen.
    »Nun gut, dann habe ich noch eine Frage an Euch, Saddin al-Assim ibn Assim. Eine kleine, unbedeutende Frage, lediglich dazu gedacht, die kindische Neugier eines alten Mannes zu befriedigen. Denn wer bin ich, Euer Wissen in Zweifel zu stellen, wenn Abu Rayhan Euch für würdig erachtet, in den Kreis der Gelehrten aufgenommen zu werden.« Ein seltsames Lächeln huschte über sein faltiges Gesicht. Ein fröhliches, unbeschwertes Lächeln. Ein Lächeln, das ihr den Schweiß auf die Stirn trieb. »Wer hat Euch in El-Andalus an der ehrwürdigen Universität zu Cordoba in der Chirurgie unterrichtet?«
    Diese Frage traf Beatrice wie ein Peitschenhieb. Was sollte sie darauf antworten? Sie kannte doch keine arabischen Gelehrten, die in der fraglichen Zeit in Andalusien gelebt hatten. In dieser Runde konnte sie nicht einfach behaupten, dass sie den Namen ihres Lehrers vergessen habe, so wie zum Beispiel den Namen ihres Professors für Pathophysiologie. Obwohl ihr seine Arroganz und seine fehlende Bescheidenheit noch sehr gut in Erinnerung geblieben war, weil sie sich zwei Semester lang jede Woche in der Vorlesung über ihn aufgeregt hatte, fiel ihr nur noch sein Vorname ein - Andreas. Doch es war hier nicht wie in Hamburg, wo beinahe ebenso viele Dozenten wie Studenten herumliefen. Im Mittelalter herrschten andere Verhältnisse an den Universitäten. Professoren und Studenten kannten sich gut, oft nicht nur mit Namen. Sie waren so eng miteinander verbunden, dass sie beinahe eine Familie bildeten. Und wer konnte sich nicht an den Namen seines Onkels erinnern? Die Gelehrten sahen sie erwartungsvoll an. Sie musste jetzt schnell eine Antwort finden. Wie viel Zeit mochte schon seit der Frage verstrichen sein? Bald würden sie unruhig und misstrauisch werden, und dann ...
    »Ich hatte eine Reihe von Lehrern, da ich mich nicht nur in einer chirurgischen Schule weiterbilden wollte«, begann sie und hoffte wenigstens etwas Zeit zu gewinnen, bis ihr die Namen von ein paar mittelalterlichen Ärzten einfielen. Oder ein Wunder geschah. »Anfangs habe ich die Werke von Hippo- krates, Asklepios und anderer großer Ärzte gelesen. Davon ausgehend wurde ich unterrichtet von ...«
    »Ruhe! Haltet ein!«, ertönte plötzlich eine laute, tiefe Stimme hinter Beatrice.
    Sie wandte sich um und schaffte es gerade noch rechtzeitig, zur Seite zu springen, bevor sie von dem Eindringling und seinen beiden Begleitern umgerannt wurde. Ohne auf sie zu achten, stürmten die drei an ihr vorbei. Abu Rayhan erhob sich.
    »Salam, Hassan, Sohn unseres edlen Herrschers, seid gegrüßt«, sagte Abu Rayhan, verneigte sich, berührte dabei Herz, Mund und Stirn mit der rechten Hand und wirkte sichtlich überrascht. »Wir haben Euch nicht erwartet, Herr. Was kann ich ...«
    »Verzeiht, dass ich Eure Runde stören muss, Abu Rayhan«, sagte Hassan mit einer Stimme, die deutlich machte, dass es sich lediglich um eine höfliche Floskel handelte. Männern wie ihm war es egal, wen sie gerade wobei störten. »Wir bringen Euch schlimme Nachrichten.« Beatrice schluckte. Waren die drei etwa wegen ihr hier? War dem Herrscher zu Ohren gekommen, dass sich eine Frau in den Kreis der Gelehrten eingeschlichen hatte? Dieser Hassan sah kräftig aus und machte wie seine Begleiter den Eindruck, dass er durchaus mit den beiden Säbeln umgehen konnte, die rechts und links von seinem Gürtel herabhingen.

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