Das Auge der Fatima
mit ihrer Faust. Er war kühl und fühlte sich schroff an, fast als ob ihm etwas nicht gefiele. Doch noch während sie darüber nachdachte und sich fragte, welchen Fehler sie wohl begangen hatte, wurde der Saphir warm. Und plötzlich dachte sie, dass es wohl am sinnvollsten wäre, in der Bibliothek mit ihrer Suche zu beginnen. Allerdings war ihr noch nicht klar, wonach sie eigentlich suchen wollte. Einen Zeitungsartikel über die Entführung ihrer Tochter würde sie hier wohl kaum erwarten können. Aber vielleicht fand sie Hinweise auf die Fidawi und ihre Schlupfwinkel, die ihr weiterhelfen konnten - oder neue Informationen über die Steine der Fatima.
Eine mittelalterliche Bibliothek nach brauchbaren Hinweisen zu durchforschen, stellte sich Beatrice nicht allzu schwierig vor. Immerhin waren Pergament, zum Schreiben geeignetes Leder oder gar echtes Papier kostbar, und die Kunst des Schreibens war sogar im Orient mit einem im Vergleich zum mittelalterlichen Abendland hohen Bildungsstand nicht jedem zugänglich. Johannes Gutenberg war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geboren worden und der Weg zum ersten erschwinglichen Druckerzeugnis somit noch weit. Bücher wurden von Hand abgeschrieben; eine mühsame Arbeit, die nicht selten Monate, manchmal sogar Jahre in Anspruch nahm. Es war daher nicht verwunderlich, dass es ein Privileg der Reichen war, Bücher zu besitzen. Sie wurden mit Gold und Edelsteinen aufgewogen. Die Bibliothek des Emirs von Gazna konnte also nicht besonders umfangreich sein.
Das einzige echte Problem, mit dem sie sich beschäftigen musste, stellte die Schrift dar. Immerhin war dies eine arabische Stadt in einem muslimischen Land. Die meisten hier befindlichen Bücher waren sicher in arabischer Schrift verfasst und würden somit für sie unlesbar sein. Aber wie konnte sie einen Dolmetscher um Hilfe bitten, ohne Verdacht zu erwecken? Natürlich hätte sie Yasmina fragen können, die Freundin hätte ihr ohne Zweifel gern und mit viel Kompetenz beim Lesen geholfen. Doch Yasmina war eine Frau, und Frauen war der Zutritt zur Bibliothek verboten. Und die Bibliothek von Gazna war keine öffentliche Bücherhalle. Man konnte sich die Bücher nicht einfach ausleihen und irgendwohin mitnehmen. Außerdem hatte Maleks Familie schon genug für sie getan. Sie durfte diese Menschen nicht zusätzlich dadurch in Gefahr bringen, dass sie ihnen verbotenerweise Schriften zur Übersetzung ins Haus schmuggelte. Aber was sollte sie tun? Da fiel ihr Alis private Bibliothek ein, und sie erinnerte sich daran, dass etliche der Werke, die er besaß, zweisprachig verfasst worden waren, dass er sogar seine eigenen Aufzeichnungen und Abhandlungen zweisprachig verfasst hatte. Der arabische stand dabei stets neben dem griechischen oder lateinischen Text. Das gab Beatrice neue Hoffnung. Sie beherrschte Latein. Und mit ein bisschen Mühe würde es auch sicher wieder mit dem Altgriechisch klappen, obwohl sie in der Schule diese Sprache nie gemocht und sie so schnell wie möglich abgewählt hatte. Ja, gleich nach dem Gespräch der Gelehrten würde sie in der Bibliothek bleiben und dort nach einem Hinweis suchen. Und sie war fest davon überzeugt, dass sie auch schnell fündig werden würde.
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14.
Vo ller Hoffnung und Zuversicht folgte Beatrice Yassir nach Beendigung der Gebetszeit zur Bibliothek. Doch als sie dann diesen Raum betrat, traf sie fast der Schlag.
Sie stand in einer riesigen Halle. Mindestens fünfzig, vielleicht sogar noch mehr schlanke Säulen aus hellgrauem Stein stützten das hohe Deckengewölbe. Und überall standen Regale - Regale, Regale und noch mehr Regale, so weit das Auge reichte. Sie waren meterhoch und bis zum Bersten angefüllt mit Büchern, Schriften und Pergamentrollen. Beatrice schnappte mühsam nach Luft. Was hatte sie in ihrer bodenlosen Einfalt geglaubt? Sie würde hier etwas mehr als hundert Büchern gegenüberstehen? Das mussten weit über tausend sein. Diese Bibliothek hätte sich spielend mit jeder beliebigen Universitätsbibliothek des 21. Jahrhunderts messen können. Und dabei war Gazna nichts als ein Provinznest.
Ein kleiner, schmächtiger Mann in einem knöchellangen hellgrauen Gewand eilte ihr entgegen. Seine Lederpantoffeln schlurften dabei über den dunkelgrauen Boden, sodass es klang, als würde er die großen Steinfliesen mit feinem Schleifpapier bearbeiten.
»Willkommen, willkommen, welch eine Freude, ein neues Gesicht!«, rief er aus. »Ein junges Gesicht, ein sehr
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