Das Auge der Fatima
plötzlich, von einer Sekunde zur nächsten und ohne Vorwarnung war er verschwunden.
»Herr? Wacht auf!«
Jemand rüttelte an ihrer Schulter, und eine leise Stimme drang an Beatrices Ohr.
»Wacht auf! Die Zeit des Morgengebets ist bereits vorbei.«
Beatrice schreckte hoch und schrie auf. An ihrem Bett stand Yassir. Der junge Diener schien über ihre heftige Reaktion erschrocken zu sein. Er wurde bleich und wich einen Schritt zurück.
»Verzeiht, Herr, dass ich Euch aus Eurem Schlaf gerissen habe«, sagte er schließlich, »doch der Tag ist schon weit fortgeschritten. Wenn Ihr nicht den Unmut unseres Herrschers, des edlen Mahmud ibn Subuktakin, Beschützer der Gläubigen, auf Euch ziehen wollt, so solltet Ihr Euch jetzt ankleiden. Außerdem hat Abu Rayhan Euch eine Nachricht geschickt. Er möchte mit Euch sprechen und erwartet Euch zu dieser Stunde in seinem Turm.«
Beatrice sah den jungen Diener verständnislos an. Der Traum war noch so real und so lebendig, dass sie sich schwer tat, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sie rieb sich die Augen und fuhr sich durch das kurze Haar.
»Abu Rayhan?«, fragte sie und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Wer war Abu Rayhan? Und wo war Saddin? »Was ...«
»Ihr solltet Euch zuerst erfrischen, Herr«, sagte Yassir und stellte eine große Kupferschüssel auf einen kleinen Tisch neben das Bett. »Ich habe Euch bereits Wasser gebracht. Ich habe mir erlaubt, es mit Eurem Lieblingsduft zu parfümieren. Ich hoffe, es ist Euch recht?«
Beatrice schüttelte verwirrt den Kopf. Sie fühlte sich immer noch, als hätte ihr jemand einen Knüppel über den Schädel gezogen.
»Meinen Lieblingsduft? Aber was ...«
»Amber und Sandelholz, Herr. Ich habe mir die Freiheit gestattet, das Wasser eben damit ...«
»Sagtest du Amber und Sandelholz?«, fragte Beatrice und war mit einem Schlag wach. Natürlich konnte es ein Zufall sein. Vielleicht war Amber und Sandelholz eine unter Männern dieser Gegend beliebte und daher weit verbreitete Duftmischung. Sie kannte schließlich auch mehr als einen Mann zu Hause in Hamburg, der Azzaro benutzte.
»Ja, Herr. Bislang ist es mir an Euch gar nicht aufgefallen. Doch als ich heute früh Euer Gemach betreten habe, duftete der ganze Raum danach.« Er senkte den Blick und knetete verlegen seine Hände. »Ich hoffe, ich habe in meiner Einfalt keine Torheit begangen?«
»Nein«, sagte Beatrice und stützte nachdenklich den Kopf auf die Hände. »Nein. Es ist alles bestens.« Amber und Sandelholz. Dann war Saddin also wirklich hier gewesen. Hier in diesem Zimmer. Genau wie damals in Shangdou. Aber wie war das nur möglich? Wie konnte ein Traum so real werden, dass sogar der Duft ... Egal. Noch ein Grund mehr, sich an das zu halten, was er ihr gesagt hatte. Sie musste weg von hier, heute Nacht. Und wenn der Tag bereits fortgeschritten war, so blieb ihr nicht mehr viel Zeit übrig, um sich auf die bevorstehende Reise vorzubereiten. Mit einem Ruck schwang sie sich aus dem Bett.
»Herr, soll ich Euch nicht zuerst rasieren?«, fragte Yassir und deutete auf ein Messer, das neben der Waschschüssel auf einem Handtuch lag. »Ihr könntet solange noch im Bett bleiben und Euch bequem zurücklehnen, wenn ich Euren Bart ...«
»Rasieren? Bart?« Beatrice fühlte sich, als ob sie von einem Stier gerammt worden wäre. Natürlich. Männer hatten einen Bartwuchs und rasierten sich. Das war schließlich nichts Neues oder Ungewöhnliches. Die meisten Männer taten es vermutlich jeden Morgen. Aber sie? Was sollte sie jetzt Yassir erzählen? »Ich ... Weißt du, ich habe keinen Bartwuchs«, sagte sie schließlich und versuchte das bestürzte Gesicht des jungen Dieners zu übersehen. »Eine Krankheit. Als Junge. Es ist...« Sie zuckte mit den Schultern und hoffte, dass dem Diener diese Erklärung reichen würde und er kein Interesse an medizinischen Details hatte.
»Oh, ich verstehe, Herr«, beeilte sich Yassir zu versichern. Er war bis zu den Ohren rot geworden und tat Beatrice beinahe Leid in seiner Verlegenheit. Er nahm das Handtuch und drehte es zwischen seinen Händen. »Ich ... Ich bin fürchterlich ungeschickt. Verzeiht mir, Herr, falls ich Euch durch meine Gedankenlosigkeit verletzt haben sollte. Ich wollte Euch niemals kränken und ...«
»Ist schon gut, Yassir. Ich habe mich daran gewöhnt. Aber dies Geheimnis bleibt unter uns, ja?«
»Natürlich, Herr«, sagte Yassir und nickte eifrig. »Da Ihr gerade davon sprecht. Wegen heute Nacht ...«Er knetete das
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