Das Auge der Fatima
Handtuch, als wollte er es erwürgen.
»Auch das bleibt unter uns. Ich habe es dir und Sala bereits heute Nacht gesagt. Und ich stehe zu meinem Wort.«
In diesem Moment ging die Sonne auf Yassirs hübschem Gesicht auf, und er strahlte sie an, als würde er direkt aus ihren Händen einen Schluck vom Wasser des Lebens empfangen. Von seinem Standpunkt aus war es vielleicht sogar tatsächlich so. Homosexuelle durften wohl kaum mit Toleranz und Verständnis rechnen. Das galt im 21. Jahrhundert und ganz gewiss im Mittelalter in einem arabischen Land.
»Herr, Eure Güte ist unermesslich, und Euer Edelmut lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Ich danke Allah auf Knien für die Gnade, dass Er ausgerechnet mich dazu auserkoren hat, Euch dienen zu dürfen. Wenn ich nur wüsste, wie ich Euch jemals ...«
»Lass gut sein, Yassir«, unterbrach sie ihn, bevor er tatsächlich auf die Knie fallen und ihr gar die Füße küssen konnte. »Ich bin ein wenig in Eile. Lege bitte meine Kleidung zurecht und lasse mich dann allein. Ich werde mich gleich zu Abu Rayhan begeben.«
»Sehr wohl, Herr«, sagte Yassir und verneigte sich. Mit wenigen Handgriffen hatte er die Kleidung so zurechtgelegt, dass Beatrice sie sich nur noch überstreifen musste. Und dann verschwand er - leise und unauffällig, wie es sich für einen erstklassigen Diener gehörte.
Kurze Zeit später war Beatrice bereits auf dem Weg zu Abu Rayhans Turmzimmer. Während sie mit langen Schritten den Gang hinuntereilte, zog und zerrte sie an ihren Gewändern, die einfach nicht so sitzen wollten, wie sie es von ihnen erwartete. Die arabische Frauenkleidung anzulegen bereitete ihr keine Schwierigkeiten mehr. Mittlerweile schaffte sie das sogar mit verbundenen Augen. Doch mit den Kleidungsstücken der Männer war sie überhaupt nicht vertraut. Ihr fehlte die Übung, und das bekam sie jetzt zu spüren. Irgendetwas hatte sie beim Ankleiden falsch gemacht. An der rechten Schulter kniff eine Stofffalte, und sie hatte den Eindruck, dass ihr Gewand hinten kürzer war als vorne. Egal. Sie hatte jetzt keine Zeit, um sich noch einmal umzuziehen. Abu Rayhan wartete, und ihr blieben nur noch wenige Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit. Sie wollte noch Malek und seine Familie besuchen, Yasmina Anweisungen für Assims Pflege erteilen und sich bei der Familie für ihre Gastfreundschaft bedanken. Dann musste sie sich um Wasser und Verpflegung für ihre Reise kümmern. Sie brauchte eine Landkarte oder etwas Ähnliches, um die Stadt Qazwin, in der sie Ali treffen sollte, finden zu können. Etwas Geld wäre nicht schlecht. Und ein Pferd hatte sie natürlich auch noch nicht... Sie hatte wirklich nicht die Zeit, sich auch noch den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ihre Kleider schief saßen oder nicht. Und mit ein bisschen Glück würde das noch nicht einmal auffallen.
»Salam, Abu Rayhan«, sagte Beatrice und verneigte sich höflich. Sala hatte ihr die Tür geöffnet und sie zu der Sitzecke geleitet, die sie bereits von ihrem letzten Besuch kannte. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass dies wirklich erst gestern gewesen war. »Verzeiht, falls ich Euch habe warten lassen. Ich ...«
Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Abu Rayhan war nicht allein. Neben ihm auf den Sitzpolstern saß der weißhaarige blinde Greis. Er hockte da mit untergeschlagenen Beinen und stützte sich auf seinen knorrigen Stock. Er und Abu Rayhan blickten ernst und schweigend zu ihr auf. Beatrice schluckte. Sie hatte plötzlich das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben. Oder war sie bereits ertappt worden? Wussten die beiden, wer sie wirklich war, und wollten sie sie zur Rede stellen, bevor die Soldaten sie in den Kerker schleiften? Vielleicht stand Hassan ja auch schon hinter einem der Vorhänge und wartete begierig auf ihr Geständnis. Verrat, Mord, Ketzerei - was würde man ihr wohl von allen Verbrechen, die Menschen begehen konnten, vorwerfen?
»Setzt Euch, Saddin al-Assim«, sagte Abu Rayhan und deutete auf eines der noch freien Sitzpolster. Erleichtert bemerkte sie, dass seine Stimme keineswegs unfreundlich klang. Vielleicht war es gar nicht so schlimm? »In Anbetracht des allgemeinen Fastens habe ich heute keine Speisen vorbereiten lassen. Doch vielleicht darf ich Euch zur Erfrischung einen Becher Wasser reichen?«
»Ja, danke«, erwiderte Beatrice und konnte die Ungewiss- heit nun nicht länger ertragen. Was wollten die beiden nur von ihr? »Weshalb habt Ihr mich rufen lassen, Abu Rayhan?«
Doch Abu
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