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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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besonders gut, was Umarmungen betraf.
    „Ich habe was Schönes für uns gekocht, deshalb konnte ich nicht weg“, sagte er und schwang meinen schweren Trolley über die Stufen, als würde er rein gar nichts wiegen. „Hast du da Backsteine drin?“
    „Äh, nein“, sagte ich verlegen. „Klamotten und so’n Kram.“ Er hatte gekocht? Und ich war sauer gewesen, weil er mich nicht abgeholt hatte. Sofort schämte ich mich in Grund und Boden.
    „So’n Kram, aha“, meinte er mit einem freundlichen Grinsen.
    Widerwillig musste ich zugeben, dass mein Onkel viel sympathischer war, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Um Welten lockerer als mein Vater. Vincent trug nicht einmal einen Anzug, nur ein kurzärmliges Hemd, während mein Vater, der angesehene Dr. Tobias Vanderen, mehr an seinen Anzügen hing als an sonst was. „Vielleicht erfahre ich im Laufe dieses Sommers sogar, was für Zeug du mit dir herumschleppst?“
    Ich folgte ihm durch die Eingangshalle in das, was wohl die Küche sein sollte. Hier hätte locker meine ganze Schulklasse verköstigt werden können.
    „Willst du gleich essen oder erst dein Zimmer sehen?“
    „Wenn ich wüsste, wo das Bad ist, wär das auch nicht schlecht.“
    „Die Treppe rauf und dann links.“ Onkel Vincent hob den Deckel von einem der Töpfe auf dem Herd. „Ich muss sowieso die Nudeln nochmal warmmachen.“
    Er sagte tatsächlich „Nudeln“. Nie im Leben hätte meine Mutter dieses ordinäre Wort über die Lippen gebracht. Für sie war alles „Pasta“. Irgendwie mochte ich Onkel Vincent immer lieber.
    Ich erklomm die Marmorstufen und fand nach ein paar Versuchen sogar die richtige Tür. Als ich zurückkam, folgte ich den Geräuschen von klappernden Tellern bis auf die Terrasse, wo mein Onkel gerade unter einem Sonnenschirm den Tisch deckte.
    „Ah, da bist du ja. Ich hatte schon befürchtet, du hättest dich verlaufen.“
    „Kein Problem“, sagte ich. „Ich hab Pfeile an die Wand gemalt.“
    Er lachte. „Ich dachte, wir setzen uns nach draußen, die größte Hitze ist jetzt vorbei und da können wir gleich den Garten genießen. Ich komm viel zu selten dazu.“
    Ich tauchte die Gabel in das Gericht auf meinem Teller. Vielleicht war das ein Test, ob ich Manieren hatte. Bei nichts kann man sich so schnell blamieren wie beim Essen. Da zeigt sich die Herkunft. Oder jedenfalls sagte mir meine Mutter das ständig, wenn ich mich mal wieder in einem ihrer Lieblingsrestaurants danebenbenommen hatte.
    „Leckere Soße.“
    „Aus dem Glas“, meinte er und lachte. „Muss man bloß aufwärmen.“
    „Du machst es dir ja einfach.“
    „Zugegeben, aber immerhin eine Soße von Riebeck und Meyrink . Schmeckt wie selbstgemacht. Jetzt sag nicht, dass es die bei euch zu Hause nicht gibt. Ich wollte dich nämlich gerade fragen, was deine Lieblingssorte ist.“
    „Wir haben eine Haushälterin, die immer gesund kocht“, sagte ich.
    „Das hier ist gesund!“, beteuerte er. Vincent hatte unzählige Lachfältchen um die Augen, wie jemand, der viel an der Sonne ist. „Sieh dir ruhig die Zutatenliste an. Gesünder geht’s nicht.“
    „Wie schön, dass du so von deinen Produkten überzeugt bist“, meinte ich freundlich, und wieder lachte er.
    Ein fröhlicher Mensch, der Herr Riebeck.
    „Tobias will also nichts mit den Sachen aus meinem Laden zu tun haben.“ Diese Erkenntnis ließ sein Lächeln verschwinden. Nachdenklich blickte er in den Garten.
    Die sorgfältig gemähte Rasenfläche war groß wie ein Fußballfeld. Man konnte nicht erkennen, wie weit das Grundstück reichte und ob der Wald dort hinten noch dazugehörte oder nicht. Ein paar kleinere Gebäude schimmerten durch die Stämme, und ich meinte, ein rotes Dach zu sehen.
    „Geht es meinem Bruder gut?“
    Ich zögerte. Das gehörte auch zu den Sachen, über die ich nicht reden sollte.
    „Also nicht.“ Er seufzte. „Was ist mit ihm los? Depressionen?“
    Wenn er es sowieso schon wusste, gab es keinen Grund zum Lügen. „Schon länger.“
    „Hat er einen Therapeuten? Jemanden, dem er sein ganzes Leben beichtet?“
    „Hat er“, gab ich zu, „aber ob er dieser Tante alles erzählt, bezweifle ich doch.“
    Schon wieder verriet ich zu viel. Meine Mutter glaubte jedenfalls, dass mein Vater nur aus einem Grund zu dieser Therapeutin ging - weil sie jung und hübsch war, und dass er seine Krankheit nur spielte oder jedenfalls übertrieb.
    Onkel Vincent schwenkte den Wein in seinem Glas und sah beunruhigt aus. Vielleicht war ihm die

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