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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Schultern und die sehnige Gestalt ins rechte Licht. Die weite Rheingrafenhose und der figurbetonte Justaucorps aus dunkelgrünem Samt waren von einem Schnitt, wie ihn die meisten Königsberger erst in einigen Jahren tragen würden. Die muskulösen Waden wurden durch die hellen Strümpfe trefflich betont. Unter dem hohen Spitzhut schimmerte das auf Kinnlänge gestutzte Haar golden in der Sonne und umspielte schmeichlerisch das breite Gesicht. Ein spitzbübisches Grinsen zuckte um die fleischigen Lippen. Am Kinn war die helle Kerbe zu erkennen, die er sich einst bei einem Sturz zugezogen hatte. Die Versuchung war groß, mit den Fingerspitzen die feinen Konturen seines Antlitzes nachzufahren. Schutzsuchend umklammerte Carlotta den Bernstein. Zugleich reckte sie sich ein wenig, um Christoph wenigstens bis zu den Schultern zu reichen.
    Er fasste nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf. Sein Atem kitzelte auf der Haut. Jäh schoss ihr eine Erinnerung aus vergangenen Zeiten durch den Kopf. Ein anderer Bursche hatte ihr einmal ähnlich angenehm die Sinne verwirrt. Erschrocken schloss sie die Lider. An das Vergangene wollte sie nicht mehr denken. Das war für immer vorbei. Sie schlug die Augen auf und lächelte. »Also gut! Allzu viel Zeit bleibt dir nicht, von deinen zwei Jahren in der Fremde zu erzählen.«
    »Zwei Jahre, das klingt lächerlich kurz. Wenn ich dich anschaue, scheint es mir eine Ewigkeit zu sein.« Sein durchdringender Blick brachte ihre Wangen abermals zum Glühen. »Schließlich kann ich mir anders nicht erklären, dich zu einer so betörend schönen jungen Frau herangereift zu sehen.«
    »Du übertreibst schon wieder, mein Bester.« Beherzt lief sie los. »Wir waren eben bei den Professoren. Dein Urteil fiel nicht sonderlich schmeichelhaft aus. Wo warst du überall: Krakau, Breslau, Leipzig, Heidelberg und Padua? Oder habe ich eine Stadt vergessen?«
    »Bologna«, ergänzte er. »Die Gestalt des ehrwürdigen Professors dort musst du dir übrigens etwa birnenförmig vorstellen. Oder vielleicht doch eher wie ein Flaschenkürbis?« Über seinem Nachdenken blieben sie abermals stehen. Mit den schlanken Händen formte er eine bauchige Figur in der Luft. Nach kurzem Zögern wiederholte er die der Birne zugedachte Rundung. Carlotta errötete ob der Anzüglichkeit. »Wie auch immer«, erneut hielt er inne, verwarf die Figur durch ein rasches Wedeln mit den Händen und gluckste vergnügt. »Gewiss reicht deine Vorstellungskraft, um zu ahnen, was ich meine.«
    Der Blick aus seinen grauen Augen ruhte auf ihrem Gesicht, glitt an ihrer zierlichen Gestalt entlang. Unwillkürlich schob sie sich in Positur. Das schlichte hellrote Samtkleid betonte ihre schmale Gestalt und passte bestens zu ihren rotblonden Locken, die sie wie meist offen trug. Zufrieden zwirbelte sie eines der bunten Bänder um den Finger und ließ Christoph gewähren, bis er ihr geradewegs wieder in die blauen Augen blickte. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus. Sie genoss es, bewies es doch, wie sehr ihre Person ihn fesselte, trotz der sieben Jahre, die sie beide trennten.
    »Ein etwas dicklicher Mensch ist der Doktor also?«, erinnerte sie ihn sanft an das Thema ihres Gesprächs.
    »Ja, reichlich dick ist der Doktor aus Bologna.« Christoph räusperte sich und fand zu seiner Erzählung zurück. »Schließlich läuft das Ganze in noch dickeren Beinen aus. Die erinnern übrigens an einen Elefanten. Ja, der Gute hat etwas von diesem exotischen Tier. Ähnlich schwerfällig bewegt er sich vorwärts, ungefähr so.« Er schwankte mit den Hüften hin und her. Wie zufällig stieß er dabei mehrmals gegen Carlotta. Sie erbebte, weniger aus Schreck denn vor Wonne. So dicht neben ihm erahnte sie das herbe Duftgemisch von Tabak, Kaffee und Lavendel, das er verströmte.
    Viel zu schnell erreichten sie den Kneiphofer Domplatz mit den hoch aufragenden Giebeln und den prächtig herausgeputzten Häusern. Carlottas Blick schweifte über den trutzigen Dom mit seinen beiden ungleichen Türmen hinüber zu den Fassaden, die den Platz vor dem imposanten Gotteshaus umgaben. Grell blinkten die kupfernen Wetterfahnen auf den Giebeln im nachmittäglichen Sonnenlicht. Zwei Amseln besetzten die Waagschalen einer Justitia und stimmten von den Aussichtspunkten ihre Weisen an. Wasserblau überstrahlte der Himmel die kehligen Sänger im Hintergrund. In der Ferne schäumten weiße Wolkenberge.
    »Es wird Zeit für mich. Von hier aus gehe ich besser allein. Nicht, dass

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