Das Bernsteinzimmer
Tschernjakowskij brachen in einem weiten Bogen in die deutschen Linien ein. Die deutsche 3. Panzerarmee, allein gelassen gegen sechs sowjetische Armeen in bester Verfassung und mit überlegener Ausrüstung, wurde an vielen Stellen auseinandergerissen. Gumbinnen war schon verloren, Insterburg lag unter einem verheerenden Granat- und Bombenfeuer, Goldap und Lotzen waren verloren, Kraupischken besetzt, aus dem Süden stieß Rokossowskij vor und eroberte Nikolaiken und Ortelsburg. Hunderte schwere Panzer vom Typ T 34 und T 42 rückten unaufhaltsam auf Allenstein und Wartenburg zu. Der Ring um Königsberg schloß sich … nur noch der Seeweg war frei und eine schmale Landverbindung nach Danzig über Heiligenbeil, Braunsberg und Elbing. Eine einzige Eisenbahnlinie und einige wenige Straßen … überfüllt von den Flüchtlingstrecks und Wehrmachtsverbänden, unter Beschuß von Tieffliegern, weittragenden Granaten und einem Bombenregen.
Die schweren deutschen Panzer ›Tiger‹ und ›Königstiger‹, die sich dem Ansturm der Roten Armee hätten entgegenstemmen können, lagen nach einigen Tagen hilflos herum und wurden sogar wie kleine Festungen eingegraben. Der Sprit war verbraucht, neuer Brennstoff kam kaum durch, die Granaten für die Bordgeschütze wurden gezählt. Auf rätselhafte Weise verschwanden Nachschubzüge mit Munition und Benzin im Nichts. Der Oberquartiermeister der 2. Armee, die den Hauptangriff von Rokossowskijs sechs Armeen auffangen mußte, Oberst Wirsing, verfolgte am Telefon die Meldungen der Stationen, die ein Zug mit Tankwagen, mit dem lebenswichtigen Panzersprit, durchfuhr. Der Zug, der sich über Deutsch-Eylau der verzweifelt kämpfenden 2. Armee näherte. Und plötzlich war dieser Zug verschwunden, wie von Geisterhand weggewischt. Oberst Wirsing verfolgte noch einmal den Weg des Zuges, aber von nirgendwoher bekam er eine Antwort.
Die deutsche Lehrerin Elsbeth Langenbach, die in der deutschen Schule von Unieck unterrichtete und die man bei der kopflosen Flucht der Naziführer ›vergessen‹ hatte, worauf sie auf einem Pferd vierzig Kilometer durch die vorstoßenden sowjetischen Panzerspitzen geritten war, bis sie die Linien der 2. Armee erreichte und zum Generalstab weitergereicht wurde, hörte die verzweifelte Suche nach dem Spritzug mit. Fassungslos sah sie Oberst Wirsing an, als er die Telefonate am Feldtelefon abbrach und resignierend sagte: »Es hat diesen Zug nie gegeben. Es war ein Gespensterzug. Was nützen uns jetzt unsere Panzer …?«
Alles war möglich in diesen Tagen des Zusammenbruchs der deutschen Ostfront. Während in Königsberg die Durchhalteparolen von den Hauswänden schrien, wurde in der Nacht vom 21. zum 22. Januar heimlich ein ›Gauleiter-Sonderzug‹ zusammengestellt, um Koch und seine Parteiprominenz, die aus ganz Ostpreußen nach Königsberg geflüchtet war, über die einzige Bahnstrecke nach Elbing und weiter nach Danzig in Sicherheit zu bringen. Der ›Kämpfer bis zum letzten Mann‹ hatte seine Flucht vorbereitet.
Endlich, endlich am 22. Januar erhielt Koch eine telefonische Verbindung mit der Parteikanzlei in Berlin. Hitler in seinem neuen Hauptquartier war nicht zu sprechen, Bormann, aus Berchtesgaden zurückgekehrt, wo er unterirdische Anlagen besichtigt hatte, war so kurz angebunden und schroff, wie er immer mit Koch verkehrt hatte.
»Natürlich gibt der Führer die Erlaubnis, unersetzliches Kulturgut zu retten!« sagte er. »Warum ist das nicht schon längst geschehen?! Fast alle Kunstschätze der Museen in den bedrohten Gebieten sind verlagert worden, schon 1944, auch aus Ihren Museen, Gauleiter, das haben Sie ja selbst organisiert … Warum sind das Bernsteinzimmer und die Gegenstände aus Zarskoje Selo noch in Königsberg? Das ist unverantwortlich, Gauleiter!«
Das hab ich gern, dachte Koch verbittert. Ein Anschiß ohne Grund. »Es gab zwei Gründe, Herr Reichsleiter –«, antwortete er böse. »Erstens sollte durch die totale Verlagerung aller Kunstschätze die Bevölkerung nicht beunruhigt werden, und zweitens stand und stehe ich noch zum Endsieg des Führers!«
Bormann schwieg einen Augenblick, vielleicht war er selbst erstaunt über die letzten Worte Kochs. Ihnen war nichts zu entgegnen.
»Sorgen Sie für den sofortigen Abtransport«, sagte er dann. »Über Elbing-Danzig-Stettin, Berlin-Weimar nach Reinhardsbrunn. Im Schloß Reinhardsbrunn wird dafür gesorgt werden, daß das Bernsteinzimmer eingelagert wird. Als Zwischenstation. Der endgültige
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