Das Bernsteinzimmer
geholfen werden?«
»Zunächst mit einem Rat: Kehren Sie in die Staaten zurück.«
»Ich bin Dozent in Würzburg und fühle mich hier wohl.«
»Warum reden wir so dumm herum, Fred.« Der Captain, ein forscher junger Mann, beugte sich im Sitzen vor. »Was Sie hier in Deutschland tun, wissen wir genau.«
»Natürlich, das ist ja auch Ihre Aufgabe.«
»Muß das sein?«
»Ja. Oder wissen Sie, wo das Bernsteinzimmer geblieben ist?«
»Es geht hier nicht um dieses dumme Zimmer, Fred!« sagte der Major ärgerlich. »Die Regierung möchte, daß endlich das Gerede aufhört, unsere Truppen hätten 1945 Kunstschätze geklaut wie die Elstern. Immer wieder kommt das in der deutschen und internationalen Presse hoch. Wir stehen schlechter da als die Russen! Hier, lesen Sie nachher mal durch, was man so alles über den Nazischatz schreibt, den wir mitgenommen haben sollen!« Der Major warf eine New York Times auf den Tisch, beugte sich nach vorn, nahm Silbermann das Glas aus der Hand und trank den Bourbon aus. »Wenn jetzt auch Sie, Fred, noch einen großen Rummel um dieses Bernsteinzimmer machen, hört das Gerede nie auf.«
»Es wird keinen Rummel geben … ich werde lautlos suchen.«
»Angenommen, Sie entdecken das Bernsteinzimmer.«
»Das wäre der Triumph meines Lebens.«
»Was dann? Dann stoßen Sie aber in die Posaune, damit wie damals die Mauern von Jericho einstürzen. Nur ist's nicht mehr Jericho, sondern Washington! Fred, wir haben Ihre Berichte von 1945 studiert. Danach sind die zwanzig Kisten zusammen mit drei Trucks und drei GIs verschwunden. Verantwortlich waren also wir.«
»Das stimmt. Ich habe das damals als eine persönliche Niederlage empfunden, und die will ich nun aus meinem Leben streichen. Das kann doch jeder verstehen.«
»Natürlich, Fred … aber die Zeiten und die Politik haben sich seitdem gründlich verändert. Der Osten ist der große schwarze Mann, und wir müssen sauber sein, ganz sauber. Dieser häßliche Fleck durch den Kunstraub muß weg, Fred. Machen Sie ihn nicht noch größer … das ist unsere Bitte.« Der Major lehnte sich zurück in den Sessel. »Fred, Sie sind Dozent in Würzburg. Reizt Sie nicht eine Professur in Princeton?!«
»Nein. Ich heiße auch nicht mehr Fred Silverman, sondern Friedrich Silbermann. Ich werde wieder Deutscher sein. Meine Familie hat man in den KZs vernichtet, ich konnte noch flüchten … jetzt bin ich zurückgekehrt, weil ich trotz allem Heimweh hatte. Lassen Sie mich in Ruhe, Gentlemen … verfolgen Sie mich nicht. Wir sind genug verfolgt worden als deutsche Juden … jetzt sollen Sie mich in Ruhe lassen als einen endlich Heimgekehrten.«
Es gab keine Diskussion mehr, kein Thema, das man noch besprechen konnte. Der Major und der Captain erhoben sich, setzten ihre Mützen auf und verließen nach einem freundlichen »Überlegen Sie sich's, Fred!« die Wohnung.
Silbermann kehrte ins Zimmer zurück, goß sich einen neuen Whiskey ein, den anderen hatte ja der Major ausgetrunken, faltete die New York Times auseinander und suchte den Artikel über den Kunstraub der Amerikaner. Beim Durchblättern sah er aus den Augenwinkeln auch die umrandete Anzeige, stutzte, weil er meinte, seinen Namen gelesen zu haben, blätterte zurück und las den Text.
Das bin ich, dachte er, teils verwundert, teils erschrocken, ja, das bin ich! Jemand sucht mich … ein Informant, oder ist es eine Falle? Entscheide dich, Fred – fährst du hin oder vergißt du die Anzeige?
Noch am selben Abend erreichte er Frankfurt mit dem D-Zug München–Köln, fuhr mit dem Taxi zum Hotel ›Frankfurter Hof‹ und bekam sogar noch ein Zimmer. Die Halle war mit einem großen Tannenbaum und vielen Tannenzweigen geschmückt, und jetzt erst kam Silbermann voll zu Bewußtsein, daß morgen Heiligabend war, ein Abend, der jedes Jahr seiner Kindheit bestimmt hatte. Es gab dann immer Honigkuchen und Pfeffernüsse, alles im Haus roch nach Lebkuchen und Vanille, und Manna gab es, ja Manna, das Festbrot der Juden. Er hatte es nie gemocht, aber immer tapfer gegessen, um auch Stollen und Schokoladenprinten zu bekommen.
Tapfer, dachte er. Bin ich jetzt tapfer? Wage ich das Leben, um das Bernsteinzimmer zu bekommen? Wohin soll mich diese Anzeige locken? Wieso setzt man voraus, daß ich in den USA die New York Times lese? Wer kennt mich in Frankfurt?
Den Heiligen Abend feierte er allein im Restaurant des Hotels. Am 1. Weihnachtstag ließ er sich mit einem Taxi durch die in der Anzeige angegebene stille
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