01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
Prolog
Der Chronist griff zur Feder. Es war düster im Kellergewölbe der alten Burg, aber das machte seinen scharfen Vampiraugen nichts aus.
Er befeuchtete seine trockenen Lippen, dann tauchte er die Feder ins Tintenfass und begann zu schreiben.
Vierundzwanzigster Tag des siebten Monats, Anno Domini 1678.
Es herrscht Krieg zwischen den Menschen. Das Osmanische Reich kämpft gegen das imperiale Russland, und Vampirjäger machten sich die Situation für einen Hinterhalt zunutze: Sie drangen in eine Burg ein, in der einhundertzwanzig Vampirkinder und vierzig erwachsene Vampire auf ihre Evakuierung aus dem Territorium des Ostclans warteten.
Zur selben Zeit wurden Auftragsmörder in die osmanischen und russischen Kriegslager am Fluss Tyasmyn entsandt, um zwei einflussreiche Vampire zu töten, den Großwesir Ismail und Prinz Alexander Kourakin.
Der Prinz hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs in Ismails Zelt im osmanischen Lager auf, und gemeinsam gelang es den beiden Clanführern, die Angreifer zu töten.
Prinz Alexanders Schwester Helena, die sich im russischen Lager ihres Bruders aufhielt, wurde jedoch an seiner statt ermordet.
Als die beiden Helenas Leiche entdeckten, machten sie sich unverzüglich auf den Weg zur Burg, um nach Überlebenden zu suchen.
Man fand lediglich den achtjährigen Kiril und die fünfjährige Joanna. Die Kinder wurden Ismails Obhut anvertraut.
Prinz Alexander blieb zurück, um den Vampirjägern entgegenzutreten, die sich noch in der Burg aufhielten.
Siebenundsechzig Vampirjäger wurden getötet.
Der Chronist zögerte, die Feder verharrte unschlüssig über dem Pergament. Einen Moment lang wusste er nicht, wie er fortfahren sollte, dabei musste er für gewöhnlich nicht um Worte ringen. Wenige Stunden nur waren vergangen, seit die Vampirkinder abgeschlachtet worden waren. Und erst vor wenigen Minuten hatte Alexander Kourakin mit blankgezogenem Schwert die Burg betreten.
Seit einhundert Jahren wurden Vampire gejagt und getötet, doch damit war es nun vorbei. Die letzten überlebenden Vampirjäger wurden in diesen Momenten von den Clanführern verfolgt und eliminiert.
Der Chronist holte tief Luft. Seit hundert Jahren war er gezwungen, über die Ermordung von Vampiren durch Vampirjäger zu berichten. Dies war das letzte Mal.
Er beugte sich über die Seiten und schrieb:
Prinz Alexander Kourakin, Oberhaupt des Ostclans, hat das Zeitalter der Vampirjäger beendet.
1. Kapitel
London, Januar 1871
Nahezu zweihundert Jahre später …
Männer, Männer, so weit das Auge reichte. Männer mit blonden Haaren, Männer mit braunen Haaren, mit roten Haaren … waren das grüne Haare? Angelica stand in einem Meer lächelnder Gesichter und weißbehandschuhter Hände, die ihr bunte Blumensträuße entgegenstreckten.
»Heirate mich!«, rief einer. Ein ziemlich altes Exemplar, wie Angelica bemerkte. Er erinnerte sie ein wenig an ein Bild von Platon, das sie einmal gesehen hatte.
»Nein! Heirate mich!«, sangen andere.
Sangen?
Ja, tatsächlich, sie sangen! O Gott, das musste ein Traum sein. Ein Alptraum …
»Jetzt komm schon, Angelica, du weißt, dass du mich heiraten willst!«
»Prinz Albert?«
Angelica war schockiert. »Aber Ihr seid vor zehn Jahren an Typhus gestorben! Königin Victoria trauert immer noch um Euch!«
Albert wackelte mit den Augenbrauen und schenkte ihr ein lüsternes Grinsen. Angelica wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Augenblick mal. Ich will nicht heiraten, und selbst wenn, ich kann euch doch nicht alle nehmen!«
Schweigen.
Angelica blickte sich ängstlich um. Sie sah, wie das Lächeln auf den Gesichtern gefror, wie einzelne bunte Blumen langsam zur Erde segelten.
»Gentlemen?«
»Missgeburt!« Das Wort drang wie aus weiter Ferne zu ihr und hallte unheimlich im Raum wider. Augen, die sie Sekunden zuvor noch hingebungsvoll angeschmachtet hatten, funkelten nun zornig und anklagend.
»Du Missgeburt!«
»Monster!«
»So wartet doch, lasst mich erklären!« Aber Angelicas Ruf ging im zunehmenden Lärm unter. Allmählich geriet sie in Panik.
»Tötet das Monster!«
Das war Albert. Er wies mit seinem hoheitsvollen Finger auf sie und rief: »Tötet das Monster!«
Die Männer, die Angelica am nächsten standen, packten sie. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, konnte sich aber nicht befreien.
»Wartet, ich bitte euch! Ich bin kein Monster. Ich bin unschuldig! Ich habe mir das doch nicht ausgesucht, was kann ich dafür, dass … Hilfe!
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