Das Bernsteinzimmer
greif man in dein Versteck, Junge, und bring was Gutes auf die Platte … wir sind vom Führer ausgesucht …«, teilte Dr. Runnefeldt die Neuigkeit im Bernsteinzimmer mit. Hier standen bereits 21 verpackte Kisten, nur die Holzwollauskleidung fehlte. Sechs Schreiner klopften die restlichen Kisten zusammen.
»Wir haben Holzwolle, soviel wir wollen!« rief Runnefeldt fröhlich. »Die Organisation läuft wie am Schnürchen! Herr Wachter, wischen Sie Ihre Sorgenfalten weg!«
»Nun ist es soweit«, sagte am Abend Wachter zu Jana Petrowna. »Wenn Runnefeldt mich tatsächlich mitnimmt nach Königsberg, was wird dann aus dir? Wir werden uns trennen müssen … und wo sehen wir uns wieder? Was auch mit mir passiert, du mußt den Krieg überleben, Töchterchen.«
Sie nickte, bereitete Wachter das Abendessen und feilte seither an ihren Gedanken, die sie seit vier Tagen beschäftigten. Sie sprach nicht darüber, es war ihr Plan, und Väterchen würde ihn glatt verbieten, wenn er ihn erfahren würde. Eine große Überraschung sollte es außerdem werden, auch wenn er sie hinterher beschimpfte.
Dr. Wollters war voll damit beschäftigt, die anderen Kunstgegenstände zu verpacken. Für jede der unbezahlbaren alten Ikonen – viele stammten aus der berühmten Nowgoroder Schule – ließ er ein Futteral aus dickem Packpapier oder Pappe anfertigen. Dann wurden die Kronleuchter zerlegt und in Kisten verstaut. Schwierigkeiten gab es nur mit dem Bett von Katharina II. und den Penisstühlen … Dr. Runnefeldt hatte Wollters wenig Hoffnung gemacht, ihm zwei Lastwagen extra abzugeben. Erst das Bernsteinzimmer … wenn dann noch Platz war, bitteschön. Von Möbeln hatte man im OKW nichts gesagt, und von geschnitzten und vergoldeten Hodensäcken schon gar nicht. So etwas fiel nicht unter den ›Führervorbehalt‹. Das war höchstens eine Kunst für den Frauenjäger Josef Goebbels.
»Auch ungefähr 20.000 Bücher müssen mit«, hatte Wollters gesagt. »Aus den Klöstern, von Mönchen handgeschrieben. Mit Initialen, gemalt mit Kobalt, Purpur und Gold! Ganze Gemäldeseiten zum biblischen Text. Dr. Runnefeldt, so etwas muß einfach mit. Dafür muß Platz vorhanden sein.«
»Erst das Bernsteinzimmer«, wiederholte Runnefeldt geduldig. »Vielleicht haben Sie Glück, Herr Wollters.«
Am frühen Morgen des 13. Oktober begann das mühsame Verladen. 27 große Kisten füllte das demontierte Bernsteinzimmer, und Dr. Runnefeldt zeichnete jede auf dem Deckel mit seinem Namen ab, bevor sie in die Lastwagen gehoben wurden. Die Kisten waren so schwer, daß Dr. Runnefeldt bei General von Haldenberge vorsprach und um Hilfe bat. Ein Zug des in Kampfreserve bei Puschkin liegenden Pionier-Bataillons rückte zum Katharinen-Palast aus und brachte einen kleinen fahrbaren Kran und einen Flaschenzug mit.
»Vorsicht!« sagte Dr. Runnefeldt zu dem jungen Leutnant, der den Zug führte. »Größte Vorsicht. Da ist alles zerbrechlich in den Kisten. Nirgendwo anstoßen, und fallen lassen – das wäre eine Katastrophe.«
»Meine Jungs sind Spezialisten.« Der Leutnant blickte zu den Fenstern des abmontierten Saales. Ein dicker Kragbalken aus Vierkantholz wurde gerade durch ein Fenster geschoben und verankert. Man machte es mit soldatischem Improvisationstalent: Die Pioniere schlugen einfach dicke Stahlkrampen in die Fensterbrüstungen und innen in die nun kahlen Wände. Der große Flaschenzug konnte in Kürze aufgehängt werden.
Auch Spezialisten haben mal eine schwache Minute. Es passierte nicht beim Herunterlassen der Kisten, sondern beim Einschwenken des Krans auf einen der Lastwagen. Ein Strick riß, Dr. Runnefeldt griff sich entsetzt an die Stirn, der Pionier-Leutnant brüllte auf … aber verhindern konnte man nichts mehr. Die Kiste Nr. 19 rutschte aus den Stricken und fiel laut krachend mit der Kante auf den Kiesboden.
»Da haben wir's!« rief Dr. Runnefeldt erregt. »Jetzt ist nur noch Bruch in der Kiste.«
»Ich bitte festzustellen«, sagte der Leutnant mit eisiger Miene, »daß die Verschnürung der Kisten nicht von uns gemacht worden ist. Die Verantwortung liegt bei Ihnen.«
»Habe ich Ihnen einen Vorwurf gemacht?« Dr. Runnefeldts Stimme konnte auch dröhnend werden, was ihm niemand zugetraut hätte. »Ich stelle nur fest: Eine Kiste ist im Eimer!«
»Das werden Sie ja beim Auspacken sehen. Vielleicht haben Sie Glück. Bei solcher Holzwollenstopfung … und die Fallhöhe war auch nicht groß.«
»Sie wissen ja gar nicht, was Sie da
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