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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist das?«
    »Von hier?« Paschke kniff die Augen zusammen und sah in den fahlen Himmel. Morgen regnet's, dachte er. Eine Scheißfahrt wird das werden. Die russischen Straßen sind wahre Knochenbrecher. »Luftlinie unjefähr 800 Kilometer. Aber über die Straßen werden's ooch über 900 sein. Wird 'ne Quälerei. Und wenn's regnet, sitzen wir bis zum Arsch im Schlamm. So is det …«
    »Ich muß nach Königsberg«, sagte Jana Petrowna ohne einen falschen Unterton. Es klang vollkommen glaubhaft. »Zum Lazarett II. Bin dorthin versetzt.« Ob es ein Lazarett II gab, wußte sie nicht, auch nicht, ob man Lazarette überhaupt so nannte, sie wagte es einfach, es so zu nennen.
    »Königsberg is scheen. Dat wird Sie jefallen, Schwesterchen. Wenn Se mal uf der Kurischen Nehrung jebadet haben … det is'n Erlebnis, sag ick Sie.«
    »Nehmen Sie mich mit?«
    »Ick? Nach Königsberg? Mit so 'nem Rappelkasten? Woll'n Se 'nen roten Affenhintern haben?«
    »Mit der Bahn ist es noch unbequemer. Von hier nach Pleskau, dann nach Rositten, weiter nach Memel … ich habe mich erkundigt.«
    »Fährt denn von hier keen LaZ nach Königsberg?«
    »Nein, morgen fährt kein Lazarettzug nach Ostpreußen. Aber ich muß morgen weg. Der letzte Termin. Warum kann ich denn nicht mit Ihnen fahren?«
    »Weil det verboten is, Süße. Sonderkommando, vastehste? Jesperrt für alle Zivilisten.«
    »Ich bin kein Zivilist. Ich bin eine Rote-Kreuz-Schwester.«
    »Det stimmt nu ooch wieda.« Julius Paschke betrachtete Jana wieder von der Seite – is'n verdammt hübsches Pferdchen, dachte er – und stürzte sich damit in einen Gewissenskonflikt. »Mädchen, ick kann doch nich …«
    »Bitte.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm und streichelte ihn. Paschke bekam einen Kloß in den Hals, das Hämmern seines Herzens setzte wieder ein wie damals, als er im Puff von Riga der rothaarigen Eina gegenüberstand und sozusagen als Eintrittskarte seine Packung Präservative vorzeigen mußte. »Mich wird auch keiner sehen und entdecken. Ich verstecke mich in Ihrem Wagen hinter den Kisten.«
    »Det können aba jut drei Tage werden … wenn's regnet.«
    »Das macht mir nichts aus.«
    »Mädchen, und wennste mal strullen mußt?«
    Jana verstand das Wort nicht. Was ist strullen, dachte sie. In ihrem Wortschatz kam es nicht vor. Ich werde Väterchen fragen. Tapfer sagte sie:
    »Ich muß nicht.«
    »Drei Tage lang?« Paschke sah sie zweifelnd an. »Det wär'n medizinisches Wunder. Aba wennste det anhalten kannst, nachts kannste dann abprotzen …«
    »So ist es.« Jana Petrowna lächelte Julius Paschke umwerfend an. »Sie nehmen mich also mit?«
    »Ick weeß nich, ich weeß nich … wenn ick uffalle, dann sind de Litzen weg. Dann bin ich wieda Schütze Arsch. Laß mir det überlejen, Mädchen. Komm morjen früh noch mal, aber noch wenn's dunkel is. Ick sitz dann wieda uff'm Trittbrett.«
    Jana Petrowna legte den Arm um Paschkes Schulter, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und sagte »Danke! Danke! Danke!« Dann huschte sie weg, so lautlos wie sie gekommen war. Den knirschenden Kiesboden schien sie nicht zu berühren.
    Paschke starrte ihr nach, bis sie an der dunklen Hauswand verschwand. Ein schwebender Schatten.
    Da sitzte nun und kneifst de Beene zusammen, dachte er. So'n jünstiger Oogenblick kommt nich wieda. Und während der Fahrt nach Königsberg is ooch nix drin, und in Königsberg, im Lazarett, schnappen die Offiziere se wech.
    Allet Scheiße, deene Emma –
    Er steckte sich eine neue Zigarette an, rauchte hastig und wünschte sich einen ganzen Kasten voll Pissulin …
    In dieser Nacht noch nahmen Michael Wachter und Jana Petrowna Abschied voneinander. Sie umarmten sich lange, küßten sich nach russischer Art dreimal auf die Wangen, nur wenige Worte sprachen sie, was sollte man jetzt auch noch sagen. Aber als sie sich voneinander lösten, hob Wachter beide Hände über Janas Kopf.
    »Mein Töchterchen«, sagte er feierlich, »Gott segne dich. Gott möge dich beschützen. Hörst du mich, Gott? Laß sie nicht aus den Augen, erhalte mir mein Töchterchen und Nikolaj, meinen Sohn. Wenn es sein muß – nimm mich. Herr, erbarme dich unser … Amen.«
    In aller Ruhe packten sie wortlos Janas schwarze Wachstuchtasche. Sie nahm kaum etwas mit, ein paar Stücke Unterwäsche, dicke Strümpfe, denn der Winter kam bestimmt, und Wachter sagte, es würde ein besonders schlimmer Winter werden. Die Stare und Störche seien früher als sonst nach Süden geflogen, die Wildenten sammelten

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