Das Bernsteinzimmer
Unterstellen Sie dem Führer Dilettantismus?«
»Um Himmels willen – nein!« Dr. Wollters beugte sich etwas über den Tisch vor. »Ehrlich und unter uns, Dr. Runnefeldt, mögen Sie Erich Koch?«
»Ich kümmere mich nur um das Bernsteinzimmer«, sagte Runnefeldt eisig. »Eine Kritik an Gauleiter Koch steht mir nicht zu.«
Dr. Wollters wechselte das Thema. Es war ihm nicht gelungen, Runnefeldt festzunageln.
Der Ausbau des Bernsteinzimmers war mühsam und zeitaufwendig. Die großen Wandtafeln mußten vorsichtig vom Untergrund gelöst werden und wurden an den Nahtstellen zerlegt, die Rosetten, Girlanden, Putten, Kriegerköpfe und Figuren trennte man mit größter Feinfühligkeit heraus, eine Millimeterarbeit, bei der kein Mosaiksteinchen verlorengehen durfte. An den Wänden war schon in den ersten Tagen der Schloßbesetzung genug gesündigt worden. Die ›Andenken‹ sammelnden Soldaten hatten große Bernsteinstücke aus den Mosaiken gebrochen. Überall sah man Löcher, ein paar Figuren, die den Seitengewehren standgehalten hatten, waren völlig zerkratzt, beschädigt oder durchgebrochen … es war ein Anblick, bei dem sich Wachters Herz verkrampfte.
»Eine Schande!« sagte Ludwig Gronau ein paarmal, wenn er die häßlichen Lücken sah. Er hatte mit Wachter Freundschaft geschlossen. Unter seinen Künstlerhänden zerbrach nichts, selbst beim Ausbau schien er das Bernstein zu streicheln. »Ich schäme mich für meine Kameraden.«
»Genau dasselbe hat General von Kortte gesagt. Was soll's …« Wachter hob resignierend die Schulter. »Nach dem Krieg wird man alles restaurieren, wenn es nicht schon Dr. Findling in Königsberg machen läßt. Der größte Teil ist jedenfalls erst mal gerettet.«
»Wenn wir den Krieg gewinnen, Michael.«
»Du glaubst nicht?«
»Hast du dir mal die Karte von Rußland angesehen? Von der Westgrenze bis zum Kap Deschnew im äußersten Sibirien? Das wollen wir erobern … dieses unendliche Land? Selbst wenn wir Moskau einnehmen, dann ziehen sich die Sowjets hinter den Ural zurück. Dann in die Sümpfe, in die Taiga, ins sibirische Hochland, in die Tundra und die Steppen, an die Grenze Chinas. Die Generäle sollten Hitler nicht nur Ausschnitte zeigen, sondern auch mal die Karte des ganzen Rußland. Da siegen wir uns zu Tode, schon bis zum Jenissei, geschweige bis zur Lena. Da kommen wir nie hin!«
»Und was wird dann aus dem Bernsteinzimmer?« fragte Wachter bedrückt.
»Das bekommt ihr wieder. Verlaß dich drauf. Was wir hier tun, ist nur eine Verlagerung zum Schutz vor Zerstörung. Überall steht die Front, der Vormarsch ist gestoppt. Paß mal auf, wie das jetzt weitergeht … nämlich zurück.«
»Wenn das einer hört, bist du dran, Ludwig.«
»Ich sag's nur dir, Michael. Denk an meine Worte, wenn das große Muffensausen beginnt.«
Später sprach Wachter in seiner Wohnung mit Jana Petrowna darüber. Bisher hatte sie sich versteckt gehalten, stand nur des Nachts am offenen Fenster und saugte die frische Luft ein. In der Wohnung war sie sicher, weder Wollters noch Runnefeldt hatten sie bisher betreten – was sollten sie auch dort? Nur General von Haldenberge hatte Wachter einmal besucht, da war Jana auf das Klo geflüchtet, von Haldenberge blieb zum Glück nur eine knappe Viertelstunde, er war verwundert, wie bescheiden Wachter inmitten des ihn umgebenden Prunkes lebte.
»Bald sind wir soweit«, sagte Wachter und goß sich eine Tasse Tee ein, in die er ein paar harte Kekse tunkte. »Wir sind schon dabei, die Kisten zu zimmern. Eine Schwierigkeit hat Dr. Runnefeldt noch nicht beseitigt: Wo bekommen wir genug Holzwolle zum Transportschutz her? Die beiden Sägewerke von Puschkin liegen still.«
»Vielleicht bringen die Lastwagen Holzwolle mit.«
»Das ist unsere große Hoffnung, Töchterchen.«
Kurz darauf, am nächsten Morgen, wäre es bald zur Katastrophe gekommen. Auf Befehl des Generals war eine Putzkolonne unterwegs, um von außen die großen Fensterscheiben zu putzen. An dicken Seilen ließ sie sich vom Dach an der Hauswand hinunter, auch um beschädigte Fassadenteile abzuschlagen, die nach dem Bombenangriff vor der Eroberung übriggeblieben waren. Von Haldenberge blieb keine andere Wahl; ein großes Stück Gesims war heruntergefallen und hätte fast einen Oberst des Stabes erschlagen.
So kam es, daß der Gefreite Willy Schmidt an seinem Tau auch am Fenster von Wachters Wohnung vorbeipendelte und einen schnellen Blick ins Zimmer warf. Jana Petrowna, wie immer in
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