Das Beste aus 40 Jahren
ging Anastasia zu Chiara und umarmte sie. „Und keine Sorge, du bist keine Last. Es macht mir Freude, mit dir zusammen zu sein.“
Das war nicht gelogen. Seit dem Unfall war das Mädchen wie verwandelt: nicht mehr launisch und missmutig, sondern rücksichtsvoll und wirklich lieb.
„Jetzt klingst du, als wäre es früher anders gewesen. In Rom habe ich doch auch bei euch gelebt … haben wir uns damals nicht gut verstanden?“
„Doch, natürlich“, log Anastasia schnell. „Wir haben nur nicht so viel Zeit miteinander verbracht, weil du … ja in die Schule gehen musstest. Und da wir gerade davon sprechen: Wolltest du nicht Malunterricht bekommen? Wie wäre es, wenn wir gleich damit anfangen?“
„Es wäre wunderbar“, erklärte Chiara strahlend.
Rico musterte das Gemälde und gab zu, dass es ungewöhnlich viel Talent verriet. Und er hatte sich nie die Mühe gemacht, Anastasias Werke zu betrachten!
Es war nun schon eine Woche her, dass Chiara aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und sie drei hatten einen Großteil der Zeit draußen am Pool verbracht und sich erholt. Wenn er sich doch einmal seinen Geschäften widmen musste, hatte Anastasia sich ins Atelier zurückgezogen und gearbeitet.
Und nun hatte die Neugier ihn endlich dazu getrieben, festzustellen, womit sie sich beschäftigte.
Er drehte eine weitere Leinwand um und pfiff anerkennend. Warum habe ich mich nie für Anastasias Malerei interessiert? fragte er sich kritisch.
Er war immer zu sehr damit beschäftigt gewesen, Anastasia anzusehen. Für ihre Werke hatte er keinen Blick erübrigt. Da hatte er sich etwas entgehen lassen.
Das Bild war wie ein Spiegel ihrer Persönlichkeit: Die leuchtenden Farben und dynamischen Pinselstriche verrieten ihr Temperament und ihre Lebensfreude, ihre Sinnlichkeit und ihre Leidenschaft.
Beinah kam er sich vor wie ein Voyeur, als er auch die anderen Bilder eins nach dem anderen ansah. Als Kunstsammler wusste er, dass sie etwas Besonderes waren. Als Finanzmann konnte er abschätzen, dass die Werke jetzt schon hohe Preise erzielen und im Wert noch steigen würden. Und als Ehemann wusste er, dass er einen Blick in die Seele seiner Frau tat.
Wie hatte er jemals erwarten können, dass sie etwas aufgab, das so sehr Teil von ihr war?
Ja, er hatte gewollt, dass sie das Malen aufgab und nur noch für ihn existierte. Er hatte es gehasst, nach Hause zu kommen und zu merken: Sie war nicht da.
Und das bedeutete entweder, dass er ein egoistisches, herrschsüchtiges Ekel war – oder dass er ohne sie nicht leben konnte.
Wenn Letzteres stimmte, dann steckte er jetzt in großen Schwierigkeiten!
Die Tage in der Villa waren einfach herrlich, und Anastasia musste sich immer wieder vor Augen halten, dass sie und Rico nur Komödie spielten. Sobald Chiara wieder völlig gesund war, würde der Vorhang fallen.
Bis dahin mimten sie und Rico tagsüber das glückliche Ehepaar, und nachts waren sie tatsächlich Liebende, deren Leidenschaft alle Differenzen überbrückte.
Als sie an einem Nachmittag der zweiten Woche mit Chiara auf der Terrasse saß und Skizzen zeichnete, verzog das Mädchen plötzlich das Gesicht.
„Ich fühle mich so seltsam“, sagte es. „Nicht wirklich krank, aber … eigenartig.“
„Leg dich lieber hin“, empfahl Anastasia besorgt. „Die Ärzte haben dir vor allem viel Ruhe verordnet, wie du weißt. Vielleicht hast du nicht genügend geschlafen.“
Widerspruchslos ließ Chiara sich in die Villa führen und ins Bett bringen.
„Wenn du etwas brauchst, ruf mich“, sagte Anastasia eindringlich. „Ich bin auf der Terrasse.“
Als sie sah, wie Chiara die Augen schloss, verließ sie leise das Zimmer.
Wieder war ihr überdeutlich bewusst, dass das jetzige glückliche Zwischenspiel nur so lange dauern würde, wie Chiara sich nicht an früher erinnerte.
Der Vorhang fiel noch in derselben Nacht.
9. KAPITEL
Mitten in der Nacht weckte herzzerreißendes Schluchzen Anastasia und Rico.
„Um Himmels willen, das ist Chiara!“, rief er und sprang aus dem Bett. Er nahm sich gerade genug Zeit, um einen Bademantel anzuziehen, dann lief er in Chiaras Zimmer, dicht gefolgt von Anastasia.
Das Bett sah aus, als wäre ein Wirbelsturm darüber hinweggefegt. Die Decke hing auf den Boden, das Laken war zerwühlt. Chiara saß in sich zusammengesunken zitternd auf dem Boden und weinte bitterlich.
Rico eilte zu ihr. Er kniete sich neben sie und nahm sie in die Arme, wobei er tröstend auf sie einsprach. Wild riss sie
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