Das Beste aus 40 Jahren
sich von ihm los.
„Fass mich nicht an!“ Ihr Blick war ein einziger Vorwurf. „Du hast mich belogen, Rico! Ihr beide habt mich belogen.“
„Chiara, du bist sichtlich überreizt und …“
„Ja, ich bin hysterisch. Kein Wunder!“ Sie atmete stoßweise. „Ich hatte einen fürchterlichen Traum, und als ich aufwachte, konnte ich mich plötzlich wieder erinnern … an alles . Auch daran, dass du seit einem Jahr von Anastasia getrennt lebst, Rico!“
Kurz schloss er die Augen und fluchte leise. „Beruhige dich, piccola “, bat er dann. „Alles wird gut.“
„Nein, du weißt ja nicht Bescheid. Du weißt gar nichts!“ Chiara begann wieder, heftig zu schluchzen.
Rico stand auf und hob sie hoch. Er setzte sich mit ihr aufs Bett und drückte sanft ihren Kopf an seine Schulter, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
„Du musst mit dem Weinen aufhören“, sagte er eindringlich und streichelte ihr Haar. „Sonst wirst du wieder krank. Ich kann mir ja gut vorstellen, was für ein Schock das alles für dich ist, aber …“
„Schrecklich ist nicht, dass ich mich wieder erinnere, sondern, woran ich mich erinnere!“ Sie rieb sich mit dem Handrücken die Augen wie ein kleines Kind, dann sah sie Anastasia flehentlich an.
Diese fühlte sich, als hätte sie einen Guss kaltes Wasser abbekommen. Ihr war klar, was dem Mädchen solche Seelenqualen verursachte. Ein Jahr zuvor hatte es keinen Funken Reue gezeigt, aber inzwischen hatte es sich ja grundlegend verändert.
Doch für Reue und Geständnisse war es leider zu spät, sie würden nichts mehr an der Trennung von Rico ändern. Nein, nun hieß es, in die Zukunft zu blicken – so trist die auch werden würde.
„Woran du dich erinnerst, Chiara, ist vorbei und vergessen“, sagte Anastasia eindringlich und streichelte dem Mädchen impulsiv die Wange. „Wir alle sollten die Vergangenheit ruhen lassen und lieber an das Hier und Jetzt denken.“
„Aber …“ Wieder traten Chiara Tränen in die Augen.
„Schon gut! Ich hole dir jetzt Aspirin, denn ich sehe dir doch an, dass du Kopfweh hast vom vielen Weinen.“ Sie hob die Decke vom Boden auf. „Dann legst du dich hin und versuchst zu schlafen. Nach diesem traumatischen Ereignis brauchst du Ruhe.“
Chiara blickte nun nachdenklich von ihr zu Rico. „Ihr lebt seit einem Jahr getrennt, aber in den letzten Tagen habt ihr geturtelt wie ein richtiges Liebespaar. Habt ihr mir etwas vorgespielt?“
Anastasia merkte, wie sehr das Mädchen sich wünschte zu hören, dass eine echte Versöhnung stattgefunden habe, doch sie wollte nicht lügen.
Rico fuhr sich durchs Haar und schien nicht zu wissen, wie er mit so vielen Gefühlen umgehen sollte. „Die Ärzte haben gesagt, wir sollen dir jede Aufregung ersparen“, erklärte er schließlich widerwillig. „Als du aus dem Koma erwacht bist, hast du dich nicht mehr erinnert, dass Anastasia und ich schon länger getrennt sind, und du hast dich sichtlich gefreut, sie zu sehen. Wenn wir dich über unsere Trennung informiert hätten, wäre das ein ziemlicher Schock für dich gewesen, oder?“
Chiara ließ den Kopf hängen. „Ich fühle mich einfach so elend!“
„Kein Wunder! Das sind die Nachwirkungen der Verletzung“, meinte Rico.
Und das schlechte Gewissen, dachte Anastasia einfühlsam. „Mach dir keine Sorgen mehr“, sagte sie ruhig. „Konzentrier dich ganz darauf, schnell wieder völlig gesund zu werden.“
„Das sagst du ?“ Chiara klang verwundert und begann, heftig zu zittern.
„Ich rufe den Arzt an“, rief Rico besorgt. „Er soll sofort herkommen.“
„Lass mich das doch machen. Bleib du lieber bei deiner Schwester.“ Ohne seine weitere Zustimmung abzuwarten, ging Anastasia zur Tür. Ihr war klar, dass ihre Anwesenheit Chiara belastete, also konnte sie sich vorerst nur von ihr fernhalten.
Nachdem sie den Arzt angerufen hatte, zog sie sich ins Schlafzimmer zurück und legte sich aufs Bett, in dem sie noch vor Kurzem mit Rico gelegen hatte.
Zum letzten Mal.
Es hatte keinen Sinn, länger zu bleiben, denn ihr Besuch hatte seinen Zweck erfüllt. Chiara hatte ihr Gedächtnis wieder. Und sie erinnerte sich offensichtlich genau an das, was sie ein Jahr zuvor angerichtet hatte.
Anastasia schloss die Augen und dachte zum ersten Mal seit Monaten an die Ereignisse jener schicksalhaften Nacht …
Rico war seit einer Woche auf Geschäftsreise in New York, und sie war früh ins Bett gegangen. Geräusche draußen im Flur hatten sie geweckt. Sie
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