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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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jetzt, da er den Spinnweben des Verfalls genießerisch nachhing. Es war ihm auf einmal, als sehe er meine Tante zum erstenmal richtig und als erkenne er etwas, was ihm bisher völlig entgangen sei. Und nicht nur das Bild, das er sich am Tisch meiner Eltern von ihr gemacht hatte, geriet in Gefahr, nein, auch was er mit ihr vorhatte, war plötzlich überholt. Er erkannte seinen Irrtum, und er wußte, daß er von einer Lieblingsvorstellung Abschied nehmen mußte.
    Stephan hatte meine Tante, als er sie kennenlernte, mit derselben Nachsicht betrachtet, die ihr jeder Mensch, der nicht ganz aus Stein war, entgegenbrachte. Sie flößte Rührung und Mitleid ein, wo sie ging und stand. Die einzige Ausnahme bildete meine Mutter, deren Vorbehalte bei aller Geschwisterliebe allein aus der Zugehörigkeit meiner Tante zu ihrer Familie entstanden. Wann immer sich jemand, der meine Tante kannte, bei meiner Mutter nach ihr erkundigte und dabei die Stimme schon mit vorsorglichem Mitleid färbte, antwortete sie, wie man über das Ergehen eines mit reicher Beute erfolgreich getürmten Wechselfälschers Auskunft gibt: »Oh, der wird es schon gutgehen. Warum sollte es ihr auch schlechtgehen? Die ist – sorgenfrei. Wissen Sie, die hat ausgesorgt. Ja, da liegt mittlerweile ein ganz nettes Guthaben. Sie tut immer klitzeklein und bescheiden, aber das ist ihre Geschicklichkeit. Meine Schwester ist eine reiche Frau.« Sie vermutete, daß meine Tante vor dem Tode |257| ihres Vaters noch mit Geschenken bedacht worden war, die der Erbmasse entzogen wurden. Daß dieser Verdacht keinen besonderen Groll in meiner Mutter aufkommen ließ, lag nur daran, daß sie ihn gegen alle ihre Geschwister hegte und diese mit ihr nicht anders verfuhren. Es handelte sich einfach um eine Idiosynkrasie, die den Nachkommen meines Großvaters anstelle eines Vermögens hinterlassen worden war und die nur selten zu Bitterkeit führte, die aber Mitleid für die Schwester vor Dritten nicht gestattete. Anspielungen auf die finanziellen Ressourcen meiner Tante, mit denen meine Mutter übrigens auch Stephan gegenüber nicht gespart und dabei ein Gesicht aufgesetzt hatte, als ob sie über Ines Wafelaerts oder Frau Oppenheimer gesprochen hätte, mußten Stephan freilich als provinzielle Verrücktheit vorkommen. Meine Tante roch nun einmal nicht nach Geld. Sie besaß nicht die überlegene Aura, die finanziell unabhängige Leute auch dann umgibt, wenn sie glanzlos und blaß daherleben. Sie war wie eine Nonne, die in einem schönen Kloster lebt und dort nicht einmal einen Strumpf ihr eigen nennen kann – das war es, sie sah nicht aus wie jemand, der die Verfügungsgewalt über irgend etwas besitzt, mochte sie im übrigen so wohlhabend sein, wie meine Mutter es wollte.
    Stephan war jedenfalls anderes gewöhnt. Es gab Tage, an denen er nachdenklich gestimmt war und die ihn zu kleinen Gedächtnisfeiern inspirierten. Er öffnete dann seine Kommodenschublade und die Fächer seines unbenutzten Schreibtischs und holte allerlei Gegenstände heraus, die er in einer Reihe anordnete: mehrere kostbare Feuerzeuge in Gold, Silber, Platin und Schildpatt, drei Paar Manschettenknöpfe, eins in der Art goldener Kaffeebohnen, ein weiteres mit Rubincabochons geschmückt, das dritte mit dem gravierten Bild eines davonflatternden Rebhuhns. Dies Geschenk war Ergebnis eines Mißverständnisses, denn Stephan jagte nicht. Außerdem entnahm er schnappenden Lederetuis zwei Krawattennadeln: ein mit Smaragdsplittern besetztes goldenes Hufeisen, das er kopfschüttelnd betrachtete, und eine ziemlich schamlos quellende Orientperle, die als phantastisches Stück Obst aufgefaßt war und die zwei grün emaillierte |258| Blätter umgaben. Daneben legte er ein goldenes Zigarettenetui, er klappte es auf und las innen den weiblichen Schriftzug »Almost«. Während sich seine Gedanken über der Anstrengung verloren, was wohl »beinahe« hätte eintreten können, suchten seine Hände noch weiter in der Schublade und fanden schließlich einen silbernen Flakon, mit Datum vom 12. Mai 1949 graviert, und einen aus Kristall mit silbernem Schraubverschluß. Stephan legte die Stirn in seine Hände und stierte auf die ausgebreiteten Sachen. Dann erhob er sich und ging zum Kleiderschrank, an dessen Innentüren seine zahlreichen Krawatten hingen. Er griff in die bunte Seide und ließ sie wieder zurückfallen. Die eine oder andere Krawatte hielt er länger fest und schüttelte wieder den Kopf. Die Erinnerung ergänzte, was bei der

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