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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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nicht, sondern bewies seine Solidität besonders plastisch gerade angesichts des Prozesses des Alterns. Nur der Putz war strapaziert. Er hatte, wenn man ihn aus der Nähe betrachtete, ein dichtes Craquelé wie eine feine chinesische Vase, das aber auch von großen Sprüngen durchzogen und in Felder eingeteilt wurde. Nach ein paar weiteren feuchten Wintern würde der Putz eines Tages auf die Straße fallen.
    Noch bot der Putz aber einen geglätteten, festen Anblick. Man sah, daß er einmal eine Creme gewesen war, die mit einer Kelle, ähnlich der Kuchenschaufel der Konditorin, mit der sie ein Stück Kirschtorte auf den Teller meiner Tante legte, an die Wand geklatscht worden war, um dann mit einer kundigen Bewegung nach rechts und links in halben Kreisen glattgestrichen zu werden. Gerade weil der Putz nicht papierdünn war, sondern an den Rissen seine Dicke erkennen ließ, hatte die hellgraue Färbung seiner Oberfläche, die aus Partikeln aller Farben bis hin zum mineralischen Funkeln des Kohlenstaubes bestand, eine Körperlichkeit, die ein Träumer gar mit einer organischen hätte verwechseln können: Ihm wäre das Hellgrau des Putzes zur Epidermis geworden, die das Fleisch des Hauses bedeckte. Was die an der Schönheit der Häuser Bockenheims nur peripher beteiligten Architekten gar nicht beabsichtigt hatten, war nun durch die ungestört wirkende Zeit geschaffen worden: Die Häuser hatten jenen Zauber erhalten, der entsteht, wenn unbelebte Substanz |255| beginnt, sich in belebte zu verwandeln, ein Vorgang, den Aristoteles bei der Behandlung des Phänomens der Entstehung der Ungeziefer aus dem Dreck treffend beschreibt.
    Als Stephan sich in das Hellgrau der Bockenheimer Straßen verliebt hatte, versuchte er zunächst nicht, den Grund seines Entzückens in Worte zu fassen. Plötzlich fiel ihm die Landstraße ein, die von Saarbrücken nach Paris führte und die ihm damals erschienen war, als ob sie durch verwunschenes Land führte, so gleich waren sich die Felder rechts und links der Straße, so verwechselbar waren die hohen Bäume, in deren reichen Kronen die Misteln wie große Tiere saßen. Meaux hieß ein Ort, den man passierte; Montmirail fiel ihm auch noch ein. In Châlons-sur-Marne hatte er eine Werkstatt aufsuchen müssen, während der Reparatur mit seinem Chauffeur ein Glas Weißwein nach dem andern getrunken und dazu hartgekochte Eier aus dem Ständer der Buffettheke gegessen. Diese Orte galten unter Kennern Frankreichs nicht viel. Sie hatten eher einen schlechten Ruf. Sie seien öde, häßlich, provinziell, voller hoffnungsloser Traurigkeit, jedenfalls nichtssagend und grau. Ja, grau waren sie tatsächlich, daran konnte sich Stephan genau erinnern, der sie im übrigen nicht wirklich betrachtet hatte, denn er tat nie etwas Exzentrisches, und sich in Montmirail umzusehen wäre exzentrisch gewesen. Das hieß aber nicht, daß die abweisenden Häuser, die die Straßen säumten, nicht doch ein Bild in ihm hinterlassen hätten. Dabei bemühten sie sich um Anonymität, ihre Fensterläden waren geschlossen, alle waren sie gleich mit ihren schmalen, hohen Fenstern, den eisernen Gittern davor, einem Dach, das von unten nicht richtig zu erkennen war und deshalb wie ein Flachdach wirkte, selten höher als zwei Stockwerke. Aber das Grau der Häuser war ein Fest, das nicht wie in Bockenheim durch gemauerte Tür- und Fenstereinfassungen unterbrochen wurde, sondern das sich über das ganze Haus ausgebreitet hatte wie ein Ölfleck und ihm eine Substanz gab, die subtiler als Stein, komplizierter als Holz, kostbarer als Zement war. Stephan dachte nur an diese Farbe, als er sich an die Häuser der französischen Städtchen erinnerte. Das Rätsel ihres grauen Wesens entfaltete sich |256| ungestört von jeder kunstvollen Architektur. Es trat beinahe rein vor die Augen des Betrachters, der schließlich glauben konnte, Frankreich habe seine Zivilisation aus seinem Boden empfangen, als wüchsen diese grauen Häuser dort wie grüner Spargel in sandigen Gegenden auf den Feldern, nahrhaftes Grau, zusammen mit perlenfarbenen Austern, basaltfarbenen Forellen und aus sandsteinfarbenem Mehl gebackenem Brot.
    Was Stephan in seine angeregte Stimmung versetzt hatte, erfuhr meine Tante nicht. Gleichwohl war sie die Nutznießerin seiner guten Laune, denn während Stephan über die mürben Reize der Farbwelt von Bockenheim und Montmirail nachgrübelte, ruhten seine Augen auf dem Gesicht meiner Tante, das ihm noch nie so frisch vorgekommen war wie

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