Das Bett
Junge von meinem Teddybären und Madame Wafelaerts geträumt hatte, sicherlich ein nahrhaftes Futter für die exegetische Phantasie des Dr. Tiroler. Aber Stephan konnte sich an solche Träume nicht erinnern. Er wußte nur noch, wie er, wenn er nachts erwachte, durch den schweren Atem der nebenan schlafenden Agnes alsbald wieder in den festesten Schlummer zurückgeführt wurde. Nun zeigte sich jedoch, daß ihm dadurch, daß er als Kind blutige Kämpfe mit seinem Bären nächtens nicht geführt hatte, die mit solchen Traumphantasien verbundenen Gefühlsregungen nicht erspart werden sollten. Er begann sich zu fragen, was er wohl tun müsse, um meine Tante in ihrer Haremsträgheit zu erschüttern. Er sah ihre weiße, kleine Hand auf der Tischplatte liegen, neben den wehrhaften Gabelzinken, das weiche Fleisch neben dem spitzen Stahl. Stephan erlebte mit Schrecken, daß sich plötzlich ein anderes Gesicht vor das meiner Tante schob. Es hatte einen entsetzten Ausdruck, Angst stand in seinen Zügen, und aus dem rechten Winkel des schönen Mundes sickerte ein wundervoll gefärbter Streifen Blut. Stephan schloß |267| die Augen und wischte das Bild mit Entschlossenheit weg. Er konzentrierte sich wieder darauf, was er sagte, denn er sprach schon lange, ohne darin von meiner Tante unterbrochen zu werden. Seine Erzählung lenkte ihn schließlich ab. Zur Unterstützung dieser Wirkung schob er die Gabel von der Hand meiner Tante weg, die ohnehin nicht mehr aß, ihr Körper war jetzt unfähig, sich mit irdischer Nahrung zu nähren.
Stephans Erregung wuchs wieder, nachdem er die unheilvollen Assoziationen zurückgedrängt hatte, er sah meine Tante an. Sie hatte die Augen niedergeschlagen, denn ihre Empfindung für Stephan war noch zu jung, als daß ihr der Ausdruck der Gier, die auf einmal in seinem Blick lag, schon hätte Gefallen einflößen können. Und während dieser Empfindungen und Entwicklungen der Gefühle auf beiden Seiten hatte Stephan immer weiter gesprochen. Er erzählte meiner Tante und sprach so ungehemmt, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte, über seine Erlebnisse in Paris, genaugenommen über ein ganz bestimmtes Erlebnis, das ihm bei diesem Spaziergang durch Bockenheim wieder vor Augen getreten war. Seine Erinnerung, die durch die Art der Häuser und Straßen Bockenheims angeregt worden war, hatte in dem alten Kino eine Tür geöffnet, die lange verschlossen war.
»Wie diesen ›Titania-Palast‹ zwischen den Wohnhäusern kannte ich in Paris ein kleines Theater, in dem ich manchmal gewesen bin. Da wurden die komischsten Stücke gespielt. Da muß mich irgendein dummer Zufall hingeführt haben. Das Theater war nicht größer als das Kino eben. Aber es gab natürlich Logen, doch dadurch wurde es auch nicht größer«, sagte Stephan. In der Konditorei begann er erneut von seinem Theater zu sprechen, und das gab ihm den Schwung, von dem meine Tante glaubte, daß sie ihn hervorgerufen habe. Sie veränderte ihre Haltung und ihren Ausdruck, halb unfreiwillig, wie wir wissen, und diese Änderung sollte ihre nachhaltige Wirkung auf Stephan nicht verfehlen. Daß er immer weiter von fernliegenden Dingen, nämlich seinem Theater sprach, bekam seiner Geschichte nicht gut. Er verlor manchmal den Faden und das |268| Gefühl für die Folgerichtigkeit. Aber meine Tante war keine strenge Zuhörerin, jetzt erst recht nicht. Sie hing an seinen Augen und an seinen Lippen und hätte auch hingenommen, wenn wie bei einem Tonausfall im Kino kein Laut an ihr Ohr gedrungen wäre, während sein Mund ihr das kostbare Schauspiel beständiger Bewegung bot.
|269| IV.
Meine Tante hegte eine verborgene Liebe zu allem, was mit dem Theater zusammenhing. Verborgen war diese Liebe einesteils, weil sie sich überhaupt keine Präferenzen ihres Geschmacks erlauben zu dürfen glaubte. Irgendeinen Gegenstand vor einem anderen herauszuheben erschien ihr als Anmaßung. Zum anderen versetzte sie das Theater in einen Zustand der Erregung, von der sie nicht wußte, ob sie nicht Anlaß hatte, sich ihrer zu schämen. Dabei war sie eine Intellektuelle. Das einstige Vorurteil der Kirche gegen das Theater war ihr bekannt, und sie teilte mit ihren Kollegen die Erleichterung darüber, daß diese Einstellung einer versunkenen Epoche angehörte. Kopfschüttelnd las sie über die sittlichen Vorsichtsmaßnahmen, die dazu führten, daß Frauen von den Bühnen des Kirchenstaates verbannt waren und junge Männer die weiblichen Rollen übernehmen mußten, was zu
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