Das Bett
bitten, das Programm nicht zu wechseln, wie es sonst immer geschah, wenn die Musik aufhörte und die gepflegten Stimmen der Sprecher sich vernehmen ließen. Niemand widersprach ihr, denn wir alle hatten ohnehin der Musik nicht wirklich lauschen können; mehrere Wespen umflogen uns, die die Aufmerksamkeit meiner Eltern und auch die meine vollauf gefangennahmen. Wir wedelten mit den Händen, riefen Warnungen und verrenkten die Hälse, um den bösen Insekten zu entkommen.
Mein Interesse galt vor allem einer Falle, die wir den Wespen gestellt hatten: ein Glas, dessen Boden mit Honigwasser bedeckt war, stand auf der Fensterbank aus Buntsandstein, etwas abseits |272| vom Frühstückstisch mit seinen Johannisbeer- und Stachelbeergeleegläsern, aber doch nah genug, um Wespen, die ihre Jagd- und Sammelwut zu den Geleegläsern lockte, noch zu verführen, auch einmal festzustellen, wie der Inhalt dieses Glases wohl beschaffen sei. Immer wieder faßte eine der Wespen den Entschluß, aus dem kleinen Schwarm herauszufliegen, um an dem vermeintlich leichter zugänglichen Platz eine sattere Beute zu finden. Die Unstetheit ihres Fluges, der sich tastend durch hindernisfreien Luftraum bewegte, weckte jedesmal in mir die Ungewißheit, ob die gierige Wespe das Honigwasserglas auch tatsächlich entdeckt hatte und dieser Entdeckung auch schon der Wille gefolgt war, es einmal abseits von den anderen mit dem Räubern zu versuchen. Alsbald jedoch offenbarten die Wege des Tieres die Zeichen der Zwangsläufigkeit. Es umtanzte die Beute, sicherte sich den Weg, von seinem begrenzten Instinkt dazu verurteilt, die Gefahr im Umkreis des Süßen, nicht aber im Süßen selbst suchen zu müssen. Mit großer Vorsicht ließ sich die Wespe schließlich in das Glas hinab und rief bei uns in der steten Langsamkeit ihres Sinkens beinahe den Eindruck hervor, als seile sie sich an einem durchsichtigen Faden ab. Diese hohe Geschicklichkeit ging aber nicht mit der Fähigkeit einher, die augenfälligen Zeichen der Warnung zu erblicken, die ein vernunftbegabtes Wesen augenblicklich in die Flucht geschlagen hätten. In der goldenen Honigmilch schwammen entsetzlich im Todeskampf verkrümmte Wespen, dicht an dicht, und zeigten die Aussichtslosigkeit des Schicksals, die jedem ihrer Artgenossen drohte, der mit seinen Beinchen die klebrige Ebene erst einmal berührt hatte. Aber anstatt sich durch die Leichen abschrecken zu lassen, wurden die Wespen offenbar gerade durch sie ermutigt, sich ganz und gar auf ihr Abenteuer einzulassen, denn die Leiber der Getöteten bildeten bereits eine Insel im Honigsee, weil sich die Körper wie die silbernen Mokkalöffel in einem Besteckkasten ineinanderschmiegten und der trügerische Eindruck einer festen Fläche entstand. Selten wurde der Verfall von Moral und Pietät dermaßen schnell bestraft wie in der kleinen Welt unseres Honigglases. Die Wespen, die es sich als Vorteil ausgerechnet hatten, auf dem Körper einer |273| toten Wespe zu stehen, um von dort aus bequem Honig zu saugen, wurden grausam enttäuscht. Kaum hatten sie ihre Aufstellung genommen, als schon der schwimmende Körper unter ihrer Last wegtauchte und Brust und Beine der Wespe von Honigwasser benetzt und verklebt waren. Da bemerkte die Wespe, was geschehen war. Jetzt beherrschte sie nur noch der Gedanke an die Flucht. Ohne Kontrolle über die Richtung der Flugbahn schoß sie wie eine Billardkugel an den Glasrand und wurde von der Kraft des Aufpralls genau dahin zurückbefördert, von wo sie aufgebrochen war, diesmal aber berührten ihre libellenzarten Flügelhäutchen den Honig, und nun war alles, was ihr blieb, nur noch Agonie, motorisches Zappeln und Sich-Winden im Zucker ohne die Hoffnung auf Befreiung, denn selbst eine Rettungstat von außen, ein der kämpfenden Wespe hingehaltenes Streichholz zum Beispiel, konnte ihr Todesurteil nicht mehr wenden. Zu sehr waren alle Kanäle und Ganglien bereits verklebt und verstopft, um ein anderes Ende zu erlauben als den qualvollen Erstickungstod.
Frau Hauff, Genofefas Mutter, nahm an unserem Frühstück teil, weil sie ihre Tochter bei uns besuchte. Sie stammte vom Lande und war deshalb durch die Wespen weit weniger gestört als meine Eltern und ich. Sofort bekam sie mit, wohin der Wechsel des Radioprogramms den folgsamen Hörer zu führen wünschte, und sie nickte meiner Tante, deren Aufmerksamkeit sie bemerkte, jovial zu, um ihr zu zeigen, daß auch sie erkannt hatte, worum es den Sprechern ging, und daß sie deshalb um
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