Das Bett
Formel »einen Haushalt führen« verstand. Trotzdem war auch für sie an diesem Vormittag der wichtigste Besuch nicht der bei ihren Fournisseuren, sondern der in einem Geschäft für Herrenhemden und Krawatten, den sie an den Schluß ihrer Erledigungen legte, als längst schon im Kofferraum der Limousine die Bestandteile des Abendessens verstaut waren, aufwendig in Zellophan mit seidenen Schleifen verpackt, als sollten sie nicht in der Küche abgegeben werden, sondern als seien sie erlesene Tributgeschenke, die zur feierlichen Überreichung bestimmt waren.
Florence hatte die Adresse des Ausstattungsgeschäfts dem Schildchen entnommen, das in einer Krawatte Stephans eingenäht war. Sie kümmerte sich sonst nicht um Herrengarderobe, da die männlichen Mitglieder ihrer Familie ihre Garderobe stets selbst überwachten und Florence keinen Grund gaben, sich einzumischen. Willy wurde von einem soliden, vielleicht etwas altmodischen Schneider beraten, der ihn in ein dunkles Einerlei aus teurem Tuch hüllte, wie es ihm zukam. Stephan hatte einen weniger gleichförmigen Geschmack, er leistete sich allerhand Muster, er liebte zum Beispiel eine Zeitlang hellgraue Glencheckanzüge, über die sich kaum wahrnehmbar ein feines Netz aus dunkelroten Karos zog. Er hatte eine Vorliebe für weiße Flanellhosen und dunkelblaue kapitänsartige Jacken. Die strengen Wollstoffe ergänzte er mit dem brüchigen Schimmer einfarbiger oder gestreifter Krawatten aus Seidentaft, die er, solange er in Europa lebte, von Sulka aus Paris schicken ließ und die er, glücklicher, als wenn er einen verschollen geglaubten nahen Verwandten aus Oberhessen plötzlich gesund und munter in New York auf der Straße getroffen hätte, durch einen Zufall in einem Laden der Fifth Avenue wiedergefunden hatte.
Auch mir waren diese Krawatten bereits aufgefallen, obwohl ich, als ich Stephan Korn kennenlernte, von der Mode nichts |321| verstand. Deshalb gelang es mir auch nicht, sie angemessen einzuordnen, und obwohl ich Stephans Stadtkrawatten neugierig betrachtete und mir sagte, daß sie aussähen wie aus mit feiner Riffelprägung versehenem bunten Stanniolpapier, in dessen Verknitterung sich das Licht bricht, bewunderte ich sie doch weit weniger als die sportliche Krawatte, die er bei unserem Ausflug nach Würzburg trug: ein Schwarm von hellroten kleinen Doppeldeckern verteilte sich auf dichtgewebter, graugelber Wolle und huldigte Stephans großer Leidenschaft, dem Flugsport. Man konnte sich gut vorstellen, daß sie zu einem Overall getragen wurde, ja, sie beschwor im Grunde eine abenteuerliche Kleidung, zu der sie nach meiner Vorstellung weit besser paßte als zu der grünen Tweedjacke, die Stephan tatsächlich anhatte. Meine Mutter nannte im Gespräch mit meinem Vater Stephans Krawatten seine Ordensbänder, ein Ausdruck, der meine Tante sehr verwirrte, denn sie fragte sofort: »Ich wußte gar nicht, daß Stephan Orden bekommen hat?« und wurde in ihrer Unwissenheit von meinen lachenden Eltern allein gelassen. Ich entdeckte später, wie sehr das Bild meiner Mutter zutraf, denn das strahlende Rot, Blau oder Smaragdgrün des Taftes hatte wirklich wenig von einem modischen Accessoire, sondern viel mehr von der unbekümmerten Pracht der bunten Moiréschärpen, die unter schwarzen Frackjacken leuchten.
Auch Florence empfand Stephans Krawatten nicht als dandyhaft oder sonstwie aus dem Rahmen fallend, obwohl sie weder bei ihrem Vater noch bei ihren Brüdern, noch gar bei Willy, der immerhin auch zu den für sie verbindlichen Repräsentanten würdevoller Männlichkeit zählte, etwas Vergleichbares gewohnt war. Als sie jedenfalls zum erstenmal in ihrem Leben ein Krawattengeschäft betrat, stand für sie von vornherein fest, daß sie keinesfalls Ausschau hielt nach etwas, was auch Willy tragen könnte: nach jenen dunkelblauen, mit winzigen weißen Pünktchen besäten Exemplaren, die sich Mühe gaben, nicht nach Seide auszusehen, obwohl sie konventionellerweise nun einmal aus Seide bestanden, und die ängstlich vermieden, der Erscheinung Willys eine erinnerungswürdige Nuance hinzuzufügen, |322| weil ihre einzige Aufgabe darin bestand, spurlos in der düsteren Silhouette eines seriösen Geschäftsmannes aufzugehen wie ein Kleinaktionär in der jährlichen Hauptversammlung seines Konzerns. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß Florence auf einmal entdeckt hätte, daß ihr die Krawatten Willys oder die ihrer Brüder mißfielen, davon konnte keine Rede sein, und ebensowenig
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