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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Florence, daß der Vater die Ursache zu dieser Feindschaft gelegt habe, denn er präsentierte gewöhnlich seine Söhne, wenn sie straff gekämmt in ihren Sportanzügen nach unten kamen, um Gäste zu begrüßen, mit den Worten: »Das ist Alfred, mein ältester, und das ist Ernest, mein begabtester«, und Florence stellte sich dann vor, daß Alfred vielleicht um seine Erstgeborenenvorrechte besorgt sei, aber zugleich war auch wieder klar, daß es den Brüdern nicht um Rechte oder Geld ging, um Vorwürfe, die sie sich allenthalben hätten machen können, mit denen sie aber im Gegenteil erstaunlich großzügig verfuhren, denn sie verpetzten sich niemals gegenseitig und ihre Raufereien hatten nur selten einen Streit um den richtigen Tennisschläger, um Rugbyhelme oder Kniestutzen zum Gegenstand. Vielmehr teilten die Brüder die Leidenschaft für eine Gewalttätigkeit, die nicht der Durchsetzung von Zwecken diente, sondern die sich selbst genügte. Florence wurde schon krank, wenn sie im Nebenzimmer plötzlich einen Stuhl umfallen hörte, weil ihr dies Geräusch des auf den Fußboden schlagenden Holzes in der Phantasie die Bilder wachrief, die dem Sturz des Stuhles vorausgegangen sein mußten: dieses katzenhafte Anspringen, wie sie es von Ernest kannte, oder die rüden Tiefschläge, die Alfred verpaßte, unter denen Ernest erst grün im Gesicht wurde, sich dann in wahrer Raserei von dem empfangenen Schmerz weniger erholte, als ihn vielmehr zum Motor seines Angriffs zu nutzen, um sich mit seinen notorisch schlecht geschnittenen Fingernägeln in Alfreds Gesicht zu verkrallen, bis dessen Nase blutete und Ernests Finger in der Glitschigkeit ihren Halt verloren. Florence setzte sich dann, weil ihre Knie zitterten, und hielt sich in jener halbherzigen Manier |325| die Ohren zu, die nicht wirklich verhinderte, daß sie die Wucht der Schläge hörte, die ihr aber erlaubte, bei einem besonders schlimmen Geräusch, einem Knirschen, einem Stöhnen oder einem Knacken sofort ihre Ohren ganz zu verschließen und am Rauschen des Wassers im Waschbecken, das anzeigte, daß sich der reinliche Ernest von den Spuren des Kampfes reinigte, während Alfred weiter vor sich hinschwitzte, festzustellen, daß der Kampf für dieses Mal ein Ende gefunden hatte. Es war Angst, die Florence empfand, wenn ihre Brüder sich prügelten. Ihr Herz schlug ihr im Hals, sie hätte sich in ihrer Not erbrechen können, um sich Erleichterung zu verschaffen. Diese Angst war die wichtigste in ihrem Leben. Niemals sonst vermochte eine Angst sie dermaßen ganz und gar zu überschwemmen wie die vor der Wut der Brüder. Sie vergaß sie niemals, und es bedurfte durchaus nicht erst der Beobachtung, daß sich in den Augen ihrer Brüder eine gespannte Gereiztheit entwickelte, um diese Angst zu voller Größe anwachsen zu lassen. Ihre Brüder konnten sich lammfromm verhalten oder brauchten nicht einmal zugegen zu sein, damit Florence die Beklemmung befiel, wie sie sie beim Anblick der Haßausbrüche kannte.
    Zum letztenmal erlebte sie diese Angst bei einer Gelegenheit, als die Prügeleien der Brüder schon viele Jahre zurücklagen, die Brüder in achtungsvollem Frieden miteinander lebten und, wo es sich ergab, sogar geschäftlich erfolgreich zusammenarbeiteten. Sie waren würdige Herren geworden, Alfred hatte bereits einen kleinen Bauch, Ernest hatte sich zwar die jugendliche Drahtigkeit bewahrt, war im Gesicht aber gelb, weil er fortwährend mit seinem Magen zu tun hatte.
    Es war anläßlich des Hochzeitsdiners, nachdem Florence und Willy unter einem Hochzeitsbaldachin, der ganz aus weißen Rosen bestand, die Ehe geschlossen hatten, zur nicht geringen Verlegenheit Willys, dessen Eltern bereits Protestanten geworden waren und der die Enttäuschung, daß er keine protestantische Trauung durchsetzen konnte, erst verwand, als er sich eingestehen mußte, daß es ihm nicht gelang, die Anzahl der zur Dekoration des Ballsaals im »Plaza-Hotel« gekauften weißen Rosen auch |326| nur annähernd zu erfassen. Einem Mann, der seine Tochter in dieser, Willy bis dahin unvorstellbaren Weise auf Rosen bettete, mußten ein paar Eigenheiten zugestanden werden, und außerdem war, bis auf die nächste Verwandtschaft in Gestalt eines gleichaltrigen Vetters, der ebenfalls eine New Yorker Bankausbildung genoß, aus Frankfurt sonst niemand Zeuge der Veranstaltung. Willy befand sich während dieser ersten Zeit in Amerika in dem typischen Zwiespalt eines Europäers, der gerade erst die Finessen des

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