Das Bett
gesellschaftlichen Stils seiner Heimat erforschen und schätzen gelernt hat und der nun in den Vereinigten Staaten erleben muß, wie sich ihm das Tor zur Welt öffnet und wie es dahinter so ganz anders aussieht als in den Kontoren und Salons der Heimat. In die Bereitwilligkeit, alles Neue in der größtmöglichen Geschwindigkeit zu adaptieren, mischt sich ein leises Bedauern darüber, daß die mühevoll erworbenen Umgangsformen am Ziel der Träume nicht mehr Wert besitzen sollen als die dekorativ gestalteten Aktien der zaristischen Eisenbahn. Trotzdem war ihm die Schüchternheit, mit der er die Gemächer der Familie Gutmann betrat, bei Florence zugute gekommen. Willy kam ihr zurückhaltend vor, älter als er war, was einen Vorteil in Florence’ Augen darstellte, und in einer seiner Geschäftstüchtigkeit nicht abträglichen Weise dem Schönen im Leben gegenüber aufgeschlossen, was wiederum auf eine im Privatleben nachgiebige seelische Verfassung schließen ließ.
Erst in Frankfurt hatte sie die Möglichkeit, genauer die Vorbilder zu bestimmen, an denen Willy seine Manieren ausgerichtet hatte. Sie mußte lernen, daß Frankfurt ungemein komplizierter war als New York, daß es tausenderlei Dinge zu bedenken galt, von denen sie noch niemals etwas gehört hatte und deren Absurdität sie zunächst nicht fassen konnte, und verstand allmählich, daß sie in der Heimat ihres Mannes niemals würde Fuß fassen wollen. Florence wußte sehr wohl, daß die unangefochtene gesellschaftliche Position ihrer Familie in New York auf ihrem Reichtum beruhte, und sie hatte moralisch gegen diese Selektion der Elite nichts einzuwenden. Zugleich fühlte sie jedoch, daß ihre Gewißheit, ganz unabhängig vom Geld ihrer Eltern |327| oder ihres Mannes, allein aufgrund ihrer Unbeugsamkeit und ihrer einsamen Vollkommenheit ein unveräußerliches Recht auf die Mitgliedschaft der Upper class zu besitzen, was in New York niemals einer Prüfung unterzogen worden war, in Frankfurt keineswegs ohne weiteres Anerkennung fand, sondern planvoll und energisch den Frankfurter Gehirnen eingeprägt werden mußte. Florence schüttelte den Kopf, wenn sie daran dachte, wie Willy ihr nach ihrer Ankunft den Mann vorstellte, den er seinen besten Freund nannte.
Herr von Ballwitz hatte am Weltkrieg als Offizier teilgenommen und den Dienst schließlich im Hauptmannsrang quittiert. In den ersten Friedensjahren, nachdem er erkannt hatte, daß seine Bemühungen um eine angemessene Profession aussichtslos bleiben würden, heiratete er die Tochter eines Hoteliers aus Mainz, und da er einerseits nicht allzu nah beim Hotel des Schwiegervaters wohnen wollte, seine Frau sich andrerseits weigerte, den Dunstkreis von Mainz in entferntere östliche Richtung zu verlassen, war das Ehepaar nach Frankfurt gezogen und bewohnte nun eine herrschaftliche Etage auf der Bockenheimer Landstraße, nicht weit von der Kornschen Villa. Florence sah mit Schrecken, daß Ballwitz den Handkuß mit einem Hacken des Kopfes exekutierte, wodurch diese Huldigung in eine kleine Strafaktion verwandelt wurde, der sich die Damen mit wehem Lächeln auf den gespannten Gesichtern zu unterwerfen hatten. Sie hatte diese Ruckartigkeit bei Kriegsverletzten bemerkt, die trotz großer Schmerzen und der geheimen Scham über eine Verwundung, die sie sich weiß Gott nicht selbst beigebracht hatten, beweisen wollten, daß sie gut erzogen waren. Aber Ballwitz war kerngesund, und wenn er nicht immer so aussah, lag das nur daran, daß er gern die Nacht zum Tage machte, eine Neigung, in der ihn seine Mainzerin, die es von zu Hause eh nicht anders kannte, wann immer er es zuließ, gern unterstützte. Was aber Florence an diesem Handkuß eigentlich erschütterte, war, daß Willy ihn ähnlich ausführte, weil er offenbar den ehemaligen Offizier nachahmte.
Auch gewisse Redewendungen, die sich in Willys Mund |328| schon wegen seines Frankfurter Dialekts seltsam ausnahmen, wie beispielsweise die Feststellung, eine junge Frau, die er von ferne im Restaurant wahrnahm, habe »Stallgeruch«, womit er andeuten wollte, daß sie vermutlich aus guter Familie sei, oder auch die Bezeichnung bestimmter Mainzer und Rüdesheimer Fabrikate als »Schampus« stammten aus des Herrn von Ballwitz’ Repertoire, das bei dem eigentlich in Sachsen geborenen Wahlfrankfurter übrigens ebenso fremdartig wirkte wie bei dem braven Willy, der kein Soldat gewesen war.
Ärgerte sich Florence nun über Willy und seinen Freund, weil sie sich mit sprachlich
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