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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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quälen.
    Das Ehepaar Tiroler hatte das Haus schon wieder verlassen. Zwei schwarze Hausmädchen räumten den Salon auf und kehrten die Asche im Kamin zusammen, und Florence saß noch dort, wo der Kaffee serviert worden war, während Willy sich in einen Ohrensessel zurückgezogen hatte, Zigarre rauchte und seinen Kopf hinter einem Magazin verborgen hielt. Im Zimmer herrschte die ein wenig angestrengte, aber friedliche Stimmung, die nach einem Abendessen mit entfernten Bekannten zurückbleibt. Eine kleine Leere erfüllt den tüchtigen Gastgeber nach einer solchen Veranstaltung, denn er ist sich zwar deutlich bewußt, seine Aufgabe bewältigt zu haben, aber er kann sich nicht mehr so recht erinnern, worin sie eigentlich bestanden hat.
    Die Apathie der Korns hatte an diesem Abend jedoch einen doppelten Boden. Das Interesse, das Willy seiner Zeitung entgegenbrachte, stand in auffälligem Kontrast zu seiner Aufnahmefähigkeit, denn er hielt sie, ohne umzublättern, nun schon eine Viertelstunde lang aufgeschlagen, ohne sich deshalb einen einzigen Satz daraus merken zu können. Seine Aufmerksamkeit während des Lesens war freilich geteilt, denn er beobachtete mit schnellen Seitenblicken, die Florence verborgen blieben, die Miene seiner Frau, die träumerisch und unbestimmt den Eindruck erweckte, als seien der Salon, Willy und die beiden Hausmädchen aus ihrem Bewußtsein verschwunden, als habe sich statt dessen eine der hellblauen Rosenblüten auf dem Savonnerie-Teppich plötzlich vor ihren Augen geöffnet und eine Feenwelt von puppenhafter Winzigkeit und Vollkommenheit offenbart, ihr eigentliches Heimatland, in das sie nun, wie aus betäubendem Schlaf erwacht, allmählich wieder zurückkehrte.
    Willy war unruhig. Er wußte, daß er sich strafwürdig benommen hatte, aber er konnte sich nicht erklären, warum Florence ihm nicht wie früher die Leviten las und ihm die Bedingungen diktierte, unter denen sie bereit war, seine Unterwerfung entgegenzunehmen. So nachhaltig ihre Züchtigung auch schmerzte, |319| so sehr verstörte ihn, daß Florence nicht schon längst begonnen hatte, kühl und beiläufig mit ihm über das Vorgefallene zu sprechen, und zwar, während die Dienstboten im Raum waren, dankenswerterweise auf Deutsch, um seine ohnehin nur symbolische Autorität im Hause nicht restlos zu zerrütten. Willy fing an, sich zu fürchten. Dies Schweigen war wie der aus der Entfernung wahrgenommene lautlose Flug eines hochbeladenen Bombenflugzeugs, das noch nicht an sein Ziel gelangt ist, das sich aber, von den zarten Piepsern eines Funkgeräts geleitet, unaufhaltsam dorthin bewegt. Schließlich hielt Willy die Spannung nicht mehr aus. Er stand auf und bewegte sich in einem trottenden Schritt von gespielter Natürlichkeit der Flügeltür zu, jeden Augenblick damit rechnend, daß Florence ihn mit scharfer Stimme zurückbefehle. Er erreichte wie im Traum die Tür, ohne etwas zu hören, er drehte sich um und murmelte: »Es ist spät, ich leg’ mich schon hin«, aber er hörte immer noch nichts und wagte nicht, ein weiteres Wort zu sagen oder gar die Treppe hinaufzugehen, ehe er Urlaub erhalten hatte. Plötzlich wandte sich Florence ihm zu und sagte nachdenklich: »Es ist gut. Gute Nacht.« Willy glaubte nicht, was er erlebte. Die Treppe betrat er mit der Behutsamkeit eines Menschen, der ein baufälliges Anwesen auf Einsturzgefahr untersucht.
    Florence hörte seine Schritte auf dem oberen Korridor. Als seine Schlafzimmertür hinter ihm ins Schloß fiel, ließ sie ihre Schultern fallen und lehnte sich in den Sessel zurück, ihr Kopf sank auf die Rückenlehne. Sie blieb noch lange allein im hell erleuchteten Zimmer. Als sie schließlich aufstand, spürte sie einen leichten Schwindel, denn ihre Entrücktheit war einem tiefen Schlaf ähnlich gewesen, obwohl sie ihre Augen dabei nicht geschlossen hatte.
    Den Vormittag des Tages, an dem das Ehepaar Tiroler die Korns zum erstenmal zum Abendessen besuchte, verbrachte Florence in Manhattan mit Einkäufen. Sie suchte einige Lebensmittelgeschäfte auf, in denen es frischen französischen Käse, Brüsseler Trauben und Torten gab, die, wenn man sie aufschnitt, eine kompliziert geschichtete Innenarchitektur offenbarten. |320| Die Pointen eines Diners kaufte Florence immer selbst ein und nahm dafür die lange Fahrt aus Long Island gern in Kauf. Der Morgen vor solch einer Einladung gehörte traditionell diesen Expeditionen, in denen sich am augenfälligsten verkörperte, was Florence unter der

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