Das Bett
wollte sie statt dessen Stephans Stil adaptieren. Sie stellte sich einfach vor, daß sie heute abend gern eine Krawatte verschenken würde, die wie eine von Stephan aussah, und dennoch berührte es sie merkwürdig, in das Reservat ihres Sohnes einzudringen und dadurch, daß sie die Schönheit der zur Wahl stehenden Dessins miteinander verglich, Gedanken zu denken, wie er sie möglicherweise selber gedacht hätte.
Der Laden sah englisch aus, sein gepflegter Verkäufer redete in gesalbtem Flüsterton auf Florence ein, während er sich hinter die Theke bückte und immer neue flache Pappschachteln präsentierte.
Florence wurde auf einmal klar, wie fremd ihr die Männer eigentlich waren. Sie erschrak beinahe, welch unerhörte Fremdheit sich plötzlich vor ihr auftat. Obwohl sie fast nur mit Männern gelebt hatte, war ihr offenbar das Entscheidende an diesen Lebewesen entgangen, aber woran lag das? »Ich habe immer wegsehen müssen«, dachte Florence, und es fiel ihr bei diesem Gedanken sofort ein, wie unerträglich ihr als Kind der Anblick ihrer sich prügelnden Brüder war, eine Erinnerung, die jetzt noch so viel Gewalt besaß, daß Florence unwillkürlich den Kopf abwandte, als ob sie dem mächtigen inneren Bild, wie es vor ihrer Seele stand, so entkommen könnte.
Die Badezimmertür sprang auf und schlug mit lautem Knall an die Wand, und aus der Tür stürmten Alfred und Ernest, es war nicht zu sehen, wer zuerst herauskam. Alfred war nackt und naß, auf seiner buttermilchfarbenen Haut wuchsen schon eine Menge sich kräuselnder roter Haare, Ernest war zwar kleiner und dünner als der ältere Bruder, aber viel zäher und wendiger. Er war erst halb ausgezogen, hatte sogar noch Schuhe an; das waren natürlich Waffen in diesem Augenblick. War Alfred gestolpert oder |323| hatte ihn Ernest zu Fall gebracht? Im Nu rollten die beiden auf dem Teppich hin und her, ihre Köpfe wurden dunkelrot, und man hörte nur das dumpfe Geräusch des massiven Aufschlags von Fäusten auf den wohlgenährten Körpern. Für Florence war am schrecklichsten, daß keiner sonst einen Laut von sich gab, außer dem konzentrierten Keuchen, das zeigte, wie die Kämpfer alle Kraft zusammennahmen, um beim Ermatten des andern den überwältigenden Schlag zu tun. Aber wie sollte dieser Sieg aussehen, was würde der Sieger dieses haßerfüllten Kampfes mit seinem Gegner anfangen? Dieser Kampf löste nichts, er war nicht dazu geeignet, ein Gleichgewicht herzustellen, denn die beiden hatten vergessen, daß sie Brüder waren.
Als Florence die Augen schloß, dauerte der stumme Kampf noch an, bis auf einmal ein Klirren die Brüder innehalten ließ. Florence machte die Augen wieder auf und sah, daß eine große Vase umgefallen war, die auf einem wackligen Guéridon gestanden hatte. Zum Glück war sie leer, so daß nicht auch noch eine Überschwemmung entstanden war; Alfred und Ernest hatten sich augenblicklich voneinander gelöst und starrten den Schaden an. Dann waren sie, ebenso stumm wie vorher, emsig damit beschäftigt, die Scherben zusammenzulesen. Schließlich verschwand Alfred im Badezimmer, während Ernest, dessen Fuchsblick den ganzen Korridor prüfend gemustert hatte, mit schnellem Schritt aus einem dunklen Winkel eine andere Vase holte und auf das Tischchen stellte. »Meinst du, das merken sie nicht?« fragte Florence. »Wehe, du sagst ein Wort«, antwortete Ernest und ging ebenfalls ins Badezimmer zurück.
Florence kannte auch diese Ruhe, die sich nach den Schlägereien ihrer Brüder in unvorhersehbarer Geschwindigkeit wieder ausbreitete, aber diese Ruhe war nicht imstande, die aufgewühlte Seele des kleinen Mädchens zu besänftigen. Sie fügte vielmehr zu dem eben Erlebten noch einen weiteren Schrecken hinzu, denn Florence empfand sie keinesfalls als Ausdruck des wiedergekehrten Friedens, sondern als Erschöpfungszustand, der nach und nach wieder an Spannung gewann und, wenn die Brüder neue Kräfte in sich fühlten, zum nächsten Angriff führte. Auch |324| die schweigende Tapferkeit, mit der sie die Verletzungen ertrugen, die sie sich zufügten, flößte Florence Grauen ein. Ihre Brüder schienen sich einig zu sein, einander eines Tages umzubringen, dieses gemeinsame Ziel aber der übrigen Welt peinlich zu verbergen, wie Mitglieder verbrecherischer, einander bis aufs Blut bekämpfender Geheimgesellschaften zu unverbrüchlicher Kameradschaft finden, wenn die Obrigkeit des Staates sich in ihr ewiges Duell zu mischen sucht. Manchmal glaubte
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