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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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gefaßt sei.
    »Jetzt hören Sie mal zu«, sagte Willy, der aus seiner Betäubung aufgewacht war. »Ich weiß ja, daß Sie reiche Irre suchen, und ich weiß auch, daß Sie eine ganze Menge davon für die Miete verwenden müssen, aber ich finde, ein Patient pro Familie reicht. Ich finde, die Korns müssen zu Ihrer Unterstützung nicht noch einen weiteren Patienten stellen. Sehen Sie, Florence ist |355| ganz normal, richtig im Kopf, die hat mehr in ihrem Kopf als der Rest hier am Tisch. Ich bitte Sie, akzeptieren Sie das ein für allemal und verstehen Sie, daß Florence keine Anwärterin ist. Ich weiß, Sie denken anders darüber, aber ich finde, es muß auch Normale geben. Das ist meine bescheidene Meinung. Florence, guck nicht so bös, ich halt’ ja schon den Mund. Ein heißer Tag war das heute, nicht wahr?« Tatsächlich schloß er den Mund und machte ihn lange nicht mehr auf. Erstaunlicherweise geriet der Abend im weiteren Verlauf trotz des Vorfalls in eine Art von Gleichgewicht. Auch Florence fing sich schnell wieder. Sie hatte erkannt, daß Willy sich schwer betrunken hatte. Allerdings kam es nicht mehr zur Überreichung der mühevoll ausgewählten Krawatte, denn Florence fühlte sich nicht kräftig genug, um dem Abend noch ein neues belastendes Element hinzuzufügen.
    Als sie gegen Morgen in einen Zustand geriet, von dem sie nicht mehr hätte schwören können, sie sei noch hellwach gewesen, der andererseits aber auch weit von der Ohnmacht wirklichen Schlafes entfernt war, traten Bilder vor ihr inneres Auge, deren Schönheit sie in eine unheilverkündende Spannung versetzte und deren Schrecken ihr schließlich auf eine geradezu wohltuende Weise den Atem nahm und ihr den Weg zum Schlaf eröffnete.
    Sie sah sich selbst, mit einem spanischen Schleier über den Haaren, in einem strengen südlichen Innenhof. Säulen, Mauern und Bänke waren aus porösem, in der Sonne gebleichtem Stein gehauen. Alles Fleisch ist von ihm abgefallen, dachte Florence, während sie die edlen Maße der Architektur bestaunte und mit den Fingerspitzen über den warmen Stein strich. Durch das Portal kam Henry Tiroler auf sie zu. Er trug einen schwarzen Anzug und setzte sich auf die Bank links neben dem Portal. Florence setzte sich daraufhin auf die rechte Seite. Sie sahen sich eine Weile ernst an. Wie bei Sphingen lagen ihre Unterarme auf den Oberschenkeln, die Hände fielen über die Knie herab, Tirolers Finger hatten sich fast zu Pianistenfingern gestreckt. Dann begann Florence zu arbeiten. Der Hof war ein Gartenhof. An den Mauern zog sich Spalierobst entlang, in dessen Laub schon Pfirsiche |356| und Äpfel zu sehen waren. In der Mitte des Hofes stand eine Weinpergola, aus der schwere dunkle Weintrauben herabhingen. Sie bildete wie die Hofmauern ein Geviert, das wiederum einen kleinen Innenhof umschloß. In der Mitte stand ein Sockel aus demselben porösen Stein, aus dem hier alles gehauen war. Er war mit Reliefarbeiten bedeckt, die höchste bildhauerische Kultur verrieten: Zweimal war ein kunstvoll verschlungenes Bandmotiv zu erkennen, Bänder, die wie Krawatten in einem breiter werdenden Dreieck endeten und am anderen Ende zu schmalen Zipfeln wurden. Dazwischen saß ein gewaltiger Hund, aus dessen Maul der Speichel troff, Zerberus, der Wächter der Unterwelt, mit gefährlichen Krallen und einem dobermannähnlichen Kopf. Der Sockel war leer, und Florence’ Arbeit bestand darin, einen Topf auszusuchen, der darauf paßte. Sie stellte fest, während ihre Augen über eine Vielzahl von Terrakotta-Töpfen schweiften, in denen Küchengewürze mit kleinen Blättern wuchsen, daß Tiroler ihre Auswahl mit ängstlichen Blicken begleitete. Schließlich nahm sie einen kleinen Topf, in dessen schwarzer Erde gar nichts wuchs. Sie hielt ihn wie eine Priesterin und trug ihn mit gemessenen Schritten durch die Weinpergola zu dem leeren Sockel, sie setzte den Topf dort ab und kehrte zu ihrer Bank zurück. Tiroler bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Dann begann mit zartem Ächzen ein Pflanzenkeim sich aus der schwarzen Erde des Topfes zu schieben, er war fleischig und weiß wie ein Kartoffelkeim, aber er entwickelte sich mit großer Kraft, und Florence dachte bei sich: Jetzt erlebe ich endlich einmal, was die Leute meinen, wenn sie erklären, man könne beim Wachsen bestimmter Pflanzen zusehen. Eine eigentümliche Knollenform an der Spitze des Keims verriet, daß sich dort ein Blatt, eine Blüte oder eine Frucht verborgen halten müsse, von den immer

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