Das Bett
Krawattenkäufen ausgelastet gewesen wäre.
»Wir essen à quatre«, sagte Florence also und sprach die französischen Wörter mit einer dermaßen geringfügigen Trübung der A-Laute aus, wie es unter ihren Freundinnen sonst keiner gelang, die gleichwohl nach jedem Europa-Aufenthalt in französischen Floskeln schwelgten, unbekümmert darüber, daß in ihrer Aussprache meist nicht einmal Amerikaner die zitierten Partikel wiedererkannten. Florence unterließ es aber, Willy darüber aufzuklären, daß es sich um Tirolers Geburtstagsfest handelte, denn |351| sie fürchtete, Willy könne sich über eine solche Veranstaltung mokieren und sie allzu intim finden. Schon am Morgen grübelte sie darüber nach, wie lange es dauern werde, bis von diesem Geburtstag gesprochen wurde. Wahrscheinlich würde Anni Tiroler plötzlich die Gesellschaft auffordern, auf das lange Leben ihres Mannes anzustoßen und Florence für den Einfall zu danken, den Geburtstag Henrys genau da zu feiern, wo er am allerliebsten seinen Tee trinke. Sie könnte ihr, wie sich die in ihrer Unruhe immer phantasievollere Florence vorstellte, auch schelmisch mit dem Zeigefinger drohen und sich an Willy mit gespielter Lustigkeit wenden, um ihm vorzuschlagen, die beiden, die ohnehin nur noch Augen füreinander hätten, doch am besten allein zu lassen und zusammen hinauszugehen, um den Vollmond zu betrachten.
Als sie sich erinnerte, daß heute abend gar kein Vollmond sein würde, fand sie ihre verlorengegangene Ruhe wieder zurück. Am Abend stand sie strahlend im Entree und bestaunte den Strauß gelber Rosen, der, fast so groß wie die beiden Tiroler, von einem Schneewittchensarg aus durchsichtigem Zellophan umgeben war. »Eieiei«, rief auch Willy, gönnerhaft wie ein Feudalherr, der die armen Gaben der ländlichen Bevölkerung entgegennimmt. Er war so kurz vor den Tirolers eingetroffen, daß Florence schon fürchtete, er würde sich verspäten und sie müsse die Gäste allein empfangen. Als er dann schließlich eintraf, saß Florence längst hinter dem Spiegel und hatte keine Zeit mehr, seine Erscheinung zu überprüfen, was sie sonst immer tat, obwohl es eigentlich nicht notwendig war, weil Willy auch von sich aus auf seine Wirkung bedacht war und sich nicht gehenließ. Sie ging die Treppe hinunter, als es klingelte, und konnte Willy nur noch zurufen: »Du mußt dich noch einmal kämmen, dein Haar steht hinten ab«, als sie zu ihrer Verwunderung ihren Mann antworten hörte: »Ei, wieso denn, der Tiroler ist doch net der Kaiser von China«, eine Bemerkung, die ohne Antwort blieb, weil Linda die Haustür schon geöffnet hatte und das Ehepaar Tiroler, von seinem Rosenbusch verborgen wie die Kämpfer gegen Macbeth, die sich die Zweige des Waldes von Dunsinan zur Tarnung |352| vorhalten, oder wie Odysseus, der seine Blöße während der Unterhaltung mit Nausikaa hinter einem entwurzelten Busch tarnt, hereinkam und begrüßt werden mußte. Florence nutzte, ebenfalls durch den Rosenbusch geschützt, die Gelegenheit zu einem scharfen Blick auf Willy, dessen »Eieiei« zwar in sein vertrautes Repertoire gehörte, aber ein wenig zu laut ausgefallen war, um zwanglos zu klingen. Er hatte geradezu etwas Lärmendes an sich, als er die Gäste nun in den Salon begleitete. Florence, die noch im Vestibül zurückblieb, um Linda Anweisungen zu geben, hörte von drinnen seine Stimme herausdringen, die unsicher klang. Sie hörte Satzfetzen, französische Ortsnamen, »Châteauneuf-le-Duc« war deutlich auszumachen, er sprach also über seine Bilder, die Anni Tiroler noch nicht kannte.
Florence fühlte etwas Fürchterliches auf sich zukommen, demgegenüber sie wehrlos war. Es kam ihr auf einmal ausgeschlossen vor, noch einen Schritt dorthin zu setzen, wo Willy war. Sie hing mit ganzer Kraft dem Klang des Wortes »Châteauneuf-le-Duc« nach. Sie sah diesen Ort vor sich, mit seiner romanischen Dorfkirche, die auf dem Bild so achtungslos behandelt worden war, mit seiner Kirschblüte aus rosa Zahnpasta, mit den Menschen, die dort lebten und starben, die sämtlich nichts davon wußten, was sich gerade hier im Hause abspielte, die die Kirschen ohne die geringste Ahnung davon pflückten, daß ein Bild ihrer Stadt in einem Salon hing, in dem gerade Dinge vor sich gingen, die auf unnennbare Weise die Kräfte einer Frau wie Florence überstiegen. Daß es etwas gab, was unbeeindruckt von den eigenen Schrecken und Prüfungen blieb, wirkte tröstend auf Florence. Sie murmelte den Namen der
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