Das Bett
nach den Torturen der Langeweile die Welt auf einmal ein Fest zu sein. Ein heiteres Essen würde sich dem Cocktail anschließen, die Vögel würden im Park zwitschern und draußen schien gewiß die Sonne. Wieder einmal erwies sich, daß der Druck langen, wehrlosen Zuhörenmüssens gerade bei denjenigen Beteiligten das Gefühl der Erhobenheit und der Bedeutung erzeugte, die dem Vortrag nicht zu folgen imstande waren. Willy jedenfalls hatte nach dem Gespräch mit dem Direktor das Gefühl, daß jedermann in dieser glänzenden Versammlung sein bester Freund sei, und er verabschiedete sich winkend und würdevoll bedauernd, als sie mit den Tirolers aufbrachen, wie ein Fürst, der sich dem Protokoll beugen |349| muß und dafür die köstliche Gesellschaft der ihm Nächststehenden zu verlassen hat.
Willy hatte in seinem Leben sehr selten die Gelegenheit gehabt, in aller Öffentlichkeit gefeiert zu werden, denn irgendwie ergab es sich immer, daß er bei den stattlichsten geschäftlichen Erfolgen dennoch im Schatten stand, weil er selbst oft ganz plötzlich von einer Schüchternheit ergriffen wurde, die verhinderte, daß er sich Leuten, denen er gefallen wollte, darstellte, wie es ihm am vorteilhaftesten vorkam. Das war es vor allem, was er an seinem Sohn Stephan bewunderte, diese Mühelosigkeit, sich die Herzen zu gewinnen, ohne die Hände dabei aus den Hosentaschen zu nehmen. Woher hatte sein Sohn nur diese unverschämte Leichtigkeit? Von Florence jedenfalls nicht, wie Willy augenblicklich eifersüchtig feststellte, die war ja von einer Zeremonialität und matronenhaften Schwierigkeit, als ob man bei den alten Spaniern lebte. Stephan und Florence hatten nur das eine gemeinsam, daß nämlich der Umgang mit Menschen jeder Klasse für sie nicht mit Schwierigkeiten verbunden war. »Eigentlich ergänzen sie sich«, dachte Willy einmal unwillkürlich und fühlte kaum Bitterkeit darüber, daß für ihn selbst in dieser Relation kein nennenswerter Platz vorgesehen war.
Willy kannte das Gefühl der Trauer nicht, die Tränen, die um etwas Heißgeliebtes vergossen werden, von dem man weiß, daß es unwiederbringlich verloren ist. Dieser Mangel war vielleicht sogar ein Zeichen seines friedlichen und bescheidenen Charakters und des Bewußtseins, daß es nicht recht anständig ist, den Verlust von Menschen laut zu beklagen, die man eigentlich niemals besessen hat, ohne sich darüber besonders gegrämt zu haben.
Und dennoch war auch in ihm die Fähigkeit, Glück zu empfinden, nicht ganz verkümmert. Die hundert schwatzenden Menschen, die sich achtungsvoll vor dem kleinen Zug, der Tiroler folgte, teilten und gutgelaunt in die Hände klatschten, animierten ihn, daß ihm das Blut in den Kopf stieg und sein Lächeln und Winken nicht nur ihm allein, sondern auch den Leuten, die ihn nicht kannten, das vage Gefühl vermittelte, als sei dieser |350| Applaus irgendwie auch für ihn bestimmt, obwohl er nicht, wie Henry Tiroler, eine lange, schwer verständliche Rede gehalten hatte.
Florence hatte eine Weile überlegt, ob man Mrs. Meyrish und Stephan noch zu dem Essen dazubitten solle, um die Konstellation des Abends etwas unübersichtlicher zu machen. Als Stephan sich entschuldigte, weil er, wie er sagte, mit Freunden aufs Land fahren wolle, nahm ihm Florence seine Vergnügungssucht beinahe übel, obwohl sie sich rasch erinnerte, wie reizvoll die Herbstwälder waren. Daß unter diesen Umständen auch Mrs. Meyrish nicht eingeladen werden konnte, schmerzte Florence schon mehr. Sie hatte diese ihr im übrigen außerordentlich unsympathische Dame im Verdacht, ein Auge auf Willy geworfen zu haben, und sie ahnte auch, daß deren einfältige blaue Augen und infantile Konversation bei Willy einen gewissen Eindruck hinterlassen hatten, denn es war ihr längst bekannt, daß Willy weder durch Charme noch durch Schönheit so sehr zu stimulieren war wie durch die hemmungslose sexuelle Fazilität, die auch bei den Schwachsinnigen anzutreffen ist, und sie war nicht einmal imstande, ihm diese Entwicklung seines Gefühlslebens zu verdenken, denn ihre Naivität in Liebesdingen ließ sie in der Überzeugung leben, daß Willy sich allnächtlich ruhelos auf dem Lager wälzte, weil er sich ohne Aussicht auf Erfüllung nach ihr verzehre. Es wäre nebenbei das erste Mal gewesen, daß Florence Willy geradezu eine Mätresse zugeführt hätte, und allein das hätte ihren Verstand ein wenig beschäftigen sollen, wenn der nicht vollständig mit Dinervorbereitungen und
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