Das Bett
auf sich sie ihm bereits einräumte. Hätte Florence die Neigung zu religiösen Spekulationen besessen, wäre ihr vielleicht der Einfall gekommen, daß die Beschreibung Dantes von den Höllenstrafen, die jeder einzelnen |359| bösen Tat genau die Torturen zukommen lassen, die der Tat spiegelbildlich entsprechen, in Wahrheit ebensogut eine Beschreibung des Lebens schon vor dem Tode enthielten. Wurden nicht auch im Leben auf der Erde die Menschen gerade da gedemütigt und geschlagen, wo sie ihre schwächste und empfindlichste Stelle hatten? Die Habgierigen wurden bestohlen, die Wollüstigen blieben unbefriedigt und den Stolzen wurde das starre Genick herunter in den eigenen Unrat gedrückt, und der Umstand, daß die Danteschen Höllenstrafen für die Ewigkeit andauerten, die irdischen Mißgeschicke aber im Gegensatz dazu manchmal nur einen Augenblick, hatte für Florence überhaupt keine besondere Bedeutung, denn sie lebte so sehr in der Gegenwart, daß sie sich die Zukunft nur intellektuell, nicht aber mit den Empfindungen der Furcht oder der Hoffnung vorstellte. Was ihr widerfuhr, erschien ihr, als könne es niemals enden und als sei die ganze Welt dadurch unumstößlich eine andere geworden.
Auch für Tiroler war die Welt nach dem Abendessen nicht mehr dieselbe. Er begann sofort, als sich die Kornsche Haustür hinter ihm und Anni geschlossen hatte, die Unverfrorenheiten Willys zu wiederholen, so daß Anni, die alles gar nicht richtig verstanden hatte, ihren Mann mit runden Augen ansah und auf dem Gartenweg stehenblieb, ein Fehler, den sie sofort büßen mußte, denn Tiroler ermahnte sie scharf, nachts nicht draußen herumzustehen, während er sich eine Lungenentzündung hole. Zu Hause begab er sich in sein Arbeitszimmer, schickte Anni, die ihn fragte, ob er noch eine heiße Milch trinken wolle, mit barschen Worten ins Bett und begann ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen. Seine Hände fuhren in willensstarken Bewegungen durch die Luft, er übte sich in der selbstbewußten Gestik, wie sie von überlegenen Gutachtern bei Senats-Hearings geübt wurde.
»Dieser Mann«, sagte Tiroler voller Haß, »ist das Erbärmlichste, was die Gesellschaft hervorbringen kann: ein neurotischer Barbar. Die Monstrosität dieses Mannes findet ihr Gegenstück in der Monstrosität einer Gesellschaft, die eine solche Gestalt nicht nur hervorbringt, nicht nur duldet, sondern vielmehr und |360| sogar als ihren eigentlichen Prototypen feiert. Ein Mann wie Korn kann sich doch sagen, daß er in allem dem entspricht, was in seinem Milieu belohnt und bewundert wird, obwohl man natürlich sagen muß, daß er im Grunde ein kleiner Fisch ist, wäre da nicht das Gutmannsche Geld im Hintergrund. Ganz animalisch setzt solch ein Kerl, der genau spürt, wie erbärmlich es um seinen geistigen Horizont bestellt ist –« Tiroler wurde auf einmal durch die Wahl seiner Worte dazu verführt, sich den Horizont aus animalischer Optik vorzustellen. Wie durch ein Fischauge zeigten sich die Gegenstände winzig klein und nach dem Linsenrand zu lächerlich verzerrt. »Ja, so sieht für dich die Welt aus! Wenn es im Kopf fehlt, dann setzt du eben die zweifelhaften Reize deines Schnurrbarts ein, um an das Geld zu kommen. Später, wenn die Frau dann ihren Gigolo kennengelernt hat, ist es zu spät. Dann funktioniert schon dieser hundsgemeine Anstands- und Treuemechanismus der sexuell unterworfenen Frau der sogenannten guten Gesellschaft.« Tiroler hielt inne, denn auf dem Weg der Verfertigung der Gedanken beim Reden war ihm ein Einfall gekommen. »Bitte«, sagte er zu sich selbst, »und wie der Vater, so der Sohn. Natürlich nicht so laut, nicht so gemein. Stephan, das ist ein feiner Mann, nicht wahr, müder Charme, aristokratische Trägheit oder wie das sonst in der Trivialliteratur heißt.«
Jede therapeutische Rücksicht auf Stephan verschwand. Tiroler fühlte, ohne daß er sich dagegen wehrte, ja, indem er sogar eine gewisse Lust dabei empfand, wie aus seinem schonungsvoll behandelten Patienten sein Feind geworden war. »Er ist ein Vampir, ein lebensgefährliches Ungeziefer«, murmelte Tiroler vor sich hin, »er hat von Florence nicht nur die Milch getrunken.« Dieser Satz wurde in krasser Verkennung der Realität gesprochen, denn natürlich hätte Tiroler sich denken können, daß Florence ihre Kinder nicht gestillt hatte. »Er trinkt bis auf den heutigen Tag ihr Blut. Aber soll man ihn dafür tadeln?« dachte er in einem flüchtigen Anfall von Gerechtigkeit. Er
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