Das Bett
Familie sei ursprünglich einmal aus Deutschland in die Vereinigten Staaten eingewandert, wobei er offenließ, ob sich dies zur Zeit der Mayflower-Expedition oder etwas später zugetragen habe.
|407| »Dann müßt ihr euch umarmen«, rief Bonnetti, und seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Ein Amerikaner und eine Russin – die Herren der zukünftigen Welt.« Bonnettis Lachen wirkte ansteckend auf Stephan. Er lachte ein bißchen mit und sah zu Aimée hinüber, wie Willy es bei einem Witzchen, das mit der Liebe spielt, getan hätte, bis sich das Mädchen aufrollte und er den Zorn in seinen Augen sah, der ihn augenblicklich verstummen ließ, weil er sich geradezu läppisch vorkam.
Bonnetti plauderte weiter: »Was sind die Deutschen doch für romantische Mystifikateure. Ich habe noch nie einen richtigen Deutschen gesehen. Die Deutschen lieben die Zwischenreiche, wo sie mit anderen Nationen, die ihnen wer weiß wie bezaubernd vorkommen, uneheliche Kinder zeugen können. Das sind Träumer, Liebhaber der Geschichten vom geraubten Kind, das bei den Zigeunern wiedergefunden wird. Ich bin ein nüchterner Künstler und für legitime Abstammung. Rom, liebe Freunde, das zählt, nicht wahr? Und Frankreich stammt von Rom ab.«
Es war schwer zu ergründen, worin Bonnettis Bosheit eigentlich lag. Zwischen deutlichen Sottisen wechselte er in verblüffender Geschwindigkeit den Ton, er verfiel in ein parodierend hohles Deklamieren, er rollte mit den Augen und sprach mit klagend greisenhafter Fistelstimme und fing dann auf einmal wieder an, dröhnend wie ein Landsknecht zu lachen und sich selbst damit eine nicht unbeträchtliche physische Freude zu bereiten.
»Es gibt übrigens genau drei Phasen des Wartens auf Boris«, fuhr er, das Thema geschmeidig wechselnd, fort. »In der ersten Phase bin ich gereizt, förmlich, kontrolliert. In der zweiten Phase nehme ich mir vor, ihn irgendwann einmal umzubringen. In dieser Phase befinden wir uns jetzt. In der dritten Phase bin ich bereit, die Dreckspur, die er auf dem Teppich hinterlassen wird, voll Andacht zu küssen. Eine weitere Phase gibt es nicht, denn am Ende der dritten wird er schließlich gebracht.« Stephan wurde sich auf einmal darüber klar, daß Bonnetti möglicherweise keinen Dackel meinte, wenn er von Boris sprach. Vielleicht ein Kind?, überlegte Stephan, sollte Bonnetti einen Sohn haben?
|408| »Woher stammt denn Ihre Mutter?« fragte Aimée mit der Ruhe einer behandelnden Ärztin, die den Redeschwall ihres Patienten als dessen Krankheitssymptom diagnostiziert hat und danach nicht mehr zuhört. »Ach, die Abstammung«, rief Bonnetti fidel. »Muß man denn immer irgendwoher abstammen? Die Abstammung sagt weniger, als man gemeinhin denkt. Sehen Sie, Derain stammt von einer Marktfrau ab, und damit ist gewiß nicht erklärt, warum er immer Äpfel malt. Am schönsten ist aber doch die Herkunft der Helena: aus einem Ei im warmen Sand am Ufer des blauen Meeres zu schlüpfen.« Obwohl Stephan sich nicht für Bonnettis Abstammung interessierte, hatte er bei Aimées Frage die Ohren gespitzt. Uneingestanden bewegte ihn, seitdem er sich in diesem Atelier aufhielt und Aimée gesehen hatte, eigentlich nur die Frage, in welcher Beziehung Bonnetti und das Mädchen zueinander standen. Zum einen bestand zwischen ihnen ja wohl ein hoher Grad an Vertrautheit, sie waren für Stephans Gefühl in einem beinahe demonstrativen Ausmaß ungezwungen, denn Stephan war konventionell genug, um sich die Situation, wie er sie vorgefunden hatte, zuerst nur im naheliegenden Sinne zu deuten: Es war später Vormittag, der Mann trug seinen Morgenrock nicht etwa als elegante Interimslösung, sondern weil er sonst gar nichts anhatte. Das Mädchen war zwar angezogen, aber es räkelte sich auf dem Sofa, als sei es im Bett. Es zeigte nicht die geringste Spur von Verlegenheit und schien in diesen Räumen sein Nachtschattenleben zu verbringen. Gut, die beiden sagten »Sie«, wenn sie sich anredeten, oder besser »vous«, denn das war etwas anderes, und Stephan hatte sich inzwischen durchaus so weit einweihen lassen, daß ihm klargeworden war, der Gebrauch der Anrede »vous« müsse nicht immer und nicht in jedem Milieu der sittsamen Distanz des deutschen »Sie« entsprechen. Aber wenn dies blonde Kind sich so angelegentlich vor einem Dritten nach Bonnettis Mutter erkundigte, dann war es möglicherweise doch nicht einfach – Stephan suchte nach einem Wort, das ihm genehm war – Bestandteil des Haushalts, sondern
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