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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Seele: zart, sensibel, turmhoch entwickelt, empfindlich für alles Schöne und Wahre bis zur Neurasthenie und todtraurig über das viele Häßliche in der Welt. Das drücke ich durch diesen Berg aus rosa Matratzen aus, ein Berg, so hoch wie das Kaufhaus Bergdorf & Goodman, feinste Matratzen, mit den Augenwimpern von naturgeschützten Schneegänsen gestopft, ungewöhnlich zart. Diese Matratzen türmen sich auf, aber sie sind eben nicht nur ungewöhnlich weich, sie können auch nicht allen Druck von unten wegnehmen, und deshalb leidet Madame Meyrish unter wundem Rücken, bildlich gesprochen. Ihr Leiden ist wichtig, das mußte mit aufs Bild. Und oben sehen Sie so eine Art Tintengespritz, einen wilden, zerfetzten Fleck, von dem aus Tröpfchen noch ins Weiße gesprungen sind. Das ist das sogenannte explodierende Buch. Das explodierende Buch auf der Spitze der rosa Matratzen symbolisiert Madame Meyrishs Erweckungserlebnis, das in einer Kubistenausstellung stattfand. Madame Meyrish sah die Klötzchen vor sich auf der Leinwand, und weil sie eine Suchende war, baute sie sich aus diesen Klötzchen eine neue Welt, und weil sie eine enorme Seele war, legte sie die neue Welt dermaßen großzügig an, daß sogar für mich Platz darin war, der ich doch nur ein schlichter Dekorateur bin – nur ein Dekorateur.« Er richtete sich mit völlig verändertem Gesichtsausdruck auf und sagte leidenschaftlich: »Man sollte sich allmählich davor hüten, die Dekorationen immer noch mit Abfälligkeit zu betrachten, wo die meiste große Kunst doch so ausnehmend scheußlich ist.«
    Stephan sah ihn staunend an. Während der listigen Erklärung, die Bonnetti dem Aquarell hatte angedeihen lassen, war er sich häufig nicht recht sicher gewesen, wie das ganze gemeint war, bei einzelnen Bemerkungen hätte er sich dafür verbürgen mögen, daß sich irgendwelche beziehungsreichen Scherze dahinter verbargen, wozu beitrug, daß Aimée hinter ihm sich offenbar auf dem Sofa |414| hin und her warf, wie er dem Ächzen der Polsterung und einem sanften Seufzen entnahm. Diese Unsicherheit wurde durch die Jupiterblitze aus Bonnettis Augen beendet; jetzt konnte Stephan schwören, daß der Bruder Lustig ernst geworden war. »Ich kenne Mrs. Meyrish«, sagte er zerstreut. »Sie haben schon recht.«
    »Finden Sie?« fragte Bonnetti düster. »Sie können ihr die Erklärung des Aquarells übrigens gern weitersagen, wenn sie nicht zu unübersichtlich war, sprachlich, meine ich, denn auf dem Bild ist ja alles drauf. Sie haben vermutlich keine Angst, sie zu langweilen? Madame Meyrish kennt meine Gesänge nämlich seit langem, obwohl sie nie zugehört hat, ein spirituelles Wunder.«
    »Ja, was denken Sie denn eigentlich von einer Dame?« sagte Aimée. »Was erwarten Sie eigentlich? Sie können doch ein schönes, edles Geschöpf nicht in Ihre trüben Konfessionskriege hineinzerren. Eine Dame hat keine andere Aufgabe als die, à jour zu sein. Wenn Sie partout einer Dame gefallen wollen, dann seien Sie gefälligst à jour, der Rest ergibt sich von selbst. Ich hasse diese Künstlerlarmoyanz. Ins Paradies kommen wir später einmal. Auf der Erde aber ist alles ein Rechenexempel.«
    Aimée überzog, während sie, bequemer lagernd, als sie den Anschein gab, an Bonnetti diese Antwort richtete, ihr Erfahrungskonto ganz erheblich. Bonnetti war der erste Künstler, in dessen Atelier sie sich aufhielt und den sie überhaupt hatte näher kennenlernen dürfen. Ein Wort wie »Künstlerlarmoyanz«, das klang, als sei sie bisher dazu verurteilt gewesen, am Krankenbett hypochondrisch unrasierter Lyriker deren Klagegesang zu lauschen, durfte sie eigentlich nicht mit der Selbstverständlichkeit gebrauchen, die sie den Herren vorführte. Dennoch hieß es Aimées Fähigkeiten erheblich unterschätzen, wenn man ihr, angesichts ihres offensichtlichen Mangels an Einblicken und Erlebnissen, darum gleich jede Erfahrung abgesprochen hätte. Aimées Geist war in einer sehr seltenen Ausprägung ausschließlich auf die Absorption sinnlicher Eindrücke ausgerichtet. Sie fraß Gerüche und Geschmäcker, Farben und Formen, Sprachen und Klänge ebenso gierig wie ihren Kartoffeleintopf, aber sie verdaute sie |415| gründlicher als diesen, denn während der Pot au feu sie stets hungrig zurückließ, wuchsen aus den winzigsten Erlebnisfetzen in geisterhafter Geschwindigkeit die kompletten Welten, aus denen diese Fetzen stammten, vor ihrem inneren Auge nach und bedrängten ihre Einbildungskraft in einem

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